Atomarer Schutzschild für Europa: Von Frankreichs Gnaden
Ginge es nach Frankreichs Präsident Macron, könnte sein Land dank seiner Nuklearwaffen Europas neuer Schutzherr werden. Wollen die anderen das?
F alls Russland eines Tages einen EU-Staat angreifen sollte und die EU in die Pflicht zur Gegenwehr genommen wird, kann ein Politiker sagen, er habe von Beginn an gewusst, was vorsorglich zu tun gewesen wäre: Emmanuel Macron. Frankreichs Präsident warnt seit seiner Wahl vor einer verschärften Bedrohungslage und fordert ein „Europa der Verteidigung“. In einem Interview mit zwölf Jugendlichen aus Europa am Samstag wünschte er sich angesichts einer fast imminenten Raketenaggression einen europäischen Schutzschild.
Hoffen wir, dass er mit der Bedrohungslage übertrieben hat. Immerhin hatte er vorausgesehen, dass die USA nicht ewig ihre Rolle als Schutzschild spielen. Die Eventualität einer Wiederwahl von Donald Trump setzt die Debatte über diese Aussicht auf die sicherheitspolitische Tagesordnung. Die Karten im makabren Poker der Abschreckung werden dabei neu gemischt. Und es ist ein bisschen zu durchsichtig, dass Macron blufft, Frankreich könnte dank seiner nuklearen Force de frappe Europas neuer Schutzherr werden.
Wenn also „vitale Interessen“ der EU attackiert würden, wäre ein Einsatz der Atombombe denkbar. Merci beaucoup! Dass das ganze Arsenal an Kriegsmaterial, das derzeit in Europa zwischengelagert ist, für die Konzeption eines gemeinsamen Schutzschilds gegen Langstreckenraketen aus dem Osten eingeplant wird, dürfte allen westlichen Partnern als evident erscheinen.
Doch wer entscheidet über den taktischen Einsatz? Und vor allem: Wer hat das Recht, über die Verwendung von Atomwaffen zu entscheiden? Laut Frankreichs Doktrin darf allein der Präsident auf den „roten Knopf“ drücken. L’État (atomique), c’est moi! Macron möchte eine eigenständige europäische Verteidigung mit der Integration französischer Atomwaffen vor allem denjenigen EU-Partnern glaubwürdiger machen, die bisher nur an die amerikanische Schutzherrschaft geglaubt haben.
Zu keinem Zeitpunkt aber erwägt er, andere Staatsführungen einzuladen. Aber wollen diese überhaupt eingeladen werden? Bisher kaum, denn so groß ist die Angst vor einem Krieg mit Russland dann doch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an