Atalanta-Bergamo-Fans in Corona-Krise: Ultras als Helfer
Ultras genießen nicht den besten Ruf – auch nicht die aus Bergamo. Durch ihr Agieren in der Corona-Krise könnte sich das nun endlich ändern.
Von dieser Freude ist nichts übrig geblieben. Zwei Wochen nach dem Spiel in San Siro wurde Bergamo zum Epizentrum der Corona-Epidemie in Italien: Die Situation erinnerte an einige Szenen des Romans „Die Brautleute“ von Alessandro Manzoni, in dem die Pestepidemie in Mailand 1630 beschrieben wird.
Doch Hilfe kam ausgerechnet aus der Fankurve von den Ultras in Bergamo, die wie an vielen Fußballstandorten kritisch beäugt werden. Nun setzten sich die Atalanta-Ultras ganz besonders für ihre Stadt ein: Als das Rückspiel in Valencia am 10. März vor leeren Rängen ausgetragen wurde, spendeten 1.200 Fans das für die Tickets rückerstattete Geld an die örtlichen Krankenhäuser. Zudem unterstützen die Ultras der „Curva Nord“ eine Aktion der Alpini, der Gebirgsjäger, von Bergamo, die gerade ein provisorisches Feldkrankenhaus bauen.
Diese Hilfe bestand nicht aus Geld, sondern: Gesucht wurden „10 bis 15 Maler, die mit Rollen, Bürsten, Silikon und Leitern ausgestattet sind“. Wenige Minuten nach Erscheinen der Anzeige auf der Facebookseite Sostieni la Curva (Unterstütze die Kurve!) hatten sich so viele Freiwillige gemeldet, dass der Aufruf gestoppt werden musste. Das Krankenhaus ist mittlerweile fertiggestellt.
Fans als „biologische Bombe“
In den vergangenen Wochen waren die Atalanta-Fans und damit auch die besonders engagierten Ultras zu einer Art Sündenbock geworden. Der Bürgermeister von Bergamo, Giorgio Gori, hatte die Überzeugung ausgedrückt, dass das Spiel zwischen Atalanta und Valencia am 19. Februar zur Verbreitung der Epidemie in seiner Provinz beigetragen hat. Im Umfeld von Atalanta sind bereits acht Mitarbeiter an dem Coronavirus gestorben.
Gori sprach sogar von den Fans, die als „biologische Bombe“ gewirkt hätten: „Nicht nur viele der 44.000 Zuschauer in San Siro könnten sich infiziert haben. Viele Fans haben sich in Bergamo in Lokalen oder Wohnungen versammelt, um das Spiel in Fernsehen zu schauen.“ Auch Atalanta-Kapitän Alejandro Gomez meinte, dass jene Partie eine Rolle bei der Verbreitung des Virus in Italien gespielt haben könnte. Solche Äußerungen haben in Italien dafür gesorgt, dass Fußballfans angefeindet werden. Das Spiel Atalanta vs. Valencia gilt vielerorts als die Ursache der Pandemie dargestellt.
Aber: Noch zehn Tage nach der Partie waren alle Firmen und Geschäfte geöffnet, und Bürgermeister Gori selbst relativierte die Covid-Gefahr mit dem Hashtag #bergamoisrunning. Sogar nach dem Dekret, mit dem am 9. März Italien zur Sperrzone wurde, durfte man in den Firmen der Lombardei weiterarbeiten. Es waren also fast zwei Millionen Menschen in Bewegung, wie die Tageszeitung Il Manifesto berichtet. Erst am 25. März beschloss die Regierung, alle beruflichen Tätigkeiten zu untersagen, die nicht unbedingt notwendig sind, um die Grundversorgung aufrechtzuerhalten.
Strafe wegen rassistischer Beleidungen
Für die Öffentlichkeit und einen Teil der Presse war es aber einfacher, ein Fußballspiel für die Verbreitung des Virus verantwortlich zu machen. Im Umfeld von Atalanta sind übrigens acht Mitarbeiter an dem Coronavirus gestorben, wie Präsident Antonio Percassi der Gazzetta dello Sport sagte: „Wir erleben eine unglaubliche Tragödie. Doch die Leute in Bergamo sind zäh und beweisen auch in dieser Situation einen starken Charakter.“
Das Bild der Ultras als Helfer steht in deutlichem Widerspruch zu dem Ruf anderer Atalanta-Fans. Die sind schon mal durch Affenrufe und andere rassistische Beleidigungen aufgefallen. Im September erst musste der Klub eine Strafe bezahlen, nachdem die Partie gegen AC Florenz wegen rassistischer Beleidigungen gegen AC-Verteidiger Henrique Dalbert für drei Minuten unterbrochen werden musste.
Die Ultras geben da ein ganz anderes Bild ab. In einem Brief an den Klub-Präsidenten Percassi baten sie nun darum, dass sich die Mannschaft aus der Meisterschaft zurückzieht – „aus Rücksicht auf die zu vielen Todesopfer des Coronavirus in Bergamo“.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels ist der Eindruck entstanden, die Ultras von Atalanta Bergamo hätten rassistische Pöbeleien zu verantworten. Das widerspricht jedoch ihrem Selbstverständnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist