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Asylverfahren in DrittstaatenBovenschulte spricht von Schnapsidee

Bremens Regierungsschef Andreas Bovenschulte lehnt es ab, EU-Asylverfahren in andere Staaten zu verlagern. Auch Menschenrechtler äußern Bedenken.

Bremens Bürgermeister und Senatschef Andreas Bovenschulte bei einer Rede im Mai Foto: Focke Strangmann/dpa

Bremen dpa | Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte lehnt Überlegungen zu Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU ab. Denn der Plan der britischen Regierung, Asylverfahren künftig etwa in Ruanda durchzuführen, sei „krachend an der Realität gescheitert“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Ein solches Verfahren sei nach Prüfung von Sachverständigen zu teuer, rechtlich angreifbar und in der Praxis kaum umsetzbar.

Die Bundesregierung hatte mit den Bundesländern vereinbart, die Möglichkeit von Asylverfahren außerhalb der EU zu prüfen. In einem Beschluss baten die 16 Länderchefs die Ampel-Regierung in Berlin, bei der nächsten Bund-Länder-Konferenz an diesem Donnerstag dazu erste Ergebnisse vorzulegen.

Das Bundesinnenministerium hatte zu der Frage in den vergangenen Monaten den Austausch mit Experten im In- und Ausland gesucht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte unter anderem Interesse an der italienischen Zusammenarbeit mit Albanien bekundet, wo Italien selbst Asylverfahren abwickeln will. Das sei „ein interessantes Modell“.

Winfried Kluth, Mitglied des Sachverständigenrats für Integration und Migration, wies darauf hin, dass geprüft werden müsse, ob das Prinzip der Nichtzurückweisung in einen Staat, in dem Folter, unmenschliche Behandlung beziehungsweise schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, eingehalten wird. Ein negatives Votum gab das Deutsche Institut für Menschenrechte ab.

„Irreguläre Migration muss begrenzt werden, das ist keine Frage“, betonte Bovenschulte. „Aber die Drittstaatenreglung war von Anfang an eine politische Schnapsidee.“ Stattdessen müsse man sich nun auf realistische und umsetzbare Lösungen konzentrieren.

Die konservative britische Regierung bemüht sich seit langem darum, Menschen, die ohne die notwendigen Papiere einreisen, nach Ruanda abzuschieben. Sie sollen dort Asyl beantragen, eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen.

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10 Kommentare

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  • "Stattdessen müsse man sich nun auf realistische und umsetzbare Lösungen konzentrieren."



    Und die wären, Herr Bovenschulte?

  • Irreguläre Migration ist zu regulieren. Eine Drittstaatenlösung ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.



    Migration ist regulierbar, wenn dafür Mittel und Personal zur Verfügung gestellt wird; wenn also ernsthaft etwas dafür getan wird.



    Danke an Herrn Bovenschulte für seine klare realistische Sicht und Kommunikation. Alle bisher gehörten Politansagen sind nur "heisse Luft" ohne reale Substanz des Machbaren. Gerade so wird durch die Politik unsere Demokratie und das Vertrauen in die Politik zerstört. Politiker sein ist eben mehr als nur daher zu reden.

    Wie wäre es denn mit einer ernst zu nehmenden Zusammenarbeit von Fluchtländern, mit vereinbarten und sicheren Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten unter dem Schutz unserer Regierung. Hier gibt es schon unterschiedliche Projekte, nur die Bereitschaft der Regierung fehlt sich langsfristig zu beteiligen.

  • Ich finde Artikel unredlich. Sogar das UNHCR führt Asylverfahren in Rwanda durch, Wikipedia: "All new arrivals/asylum seekers in Rwanda, undergo individual Refugee Status Determination (RSD) by the Government of Rwanda. UNHCR provides shelter and communal services as a core life-saving activity to all refugees living in camps in Rwanda." Das Problem des britischen Modells ist, dass trotz internationaler Verpflichtungen generell gar kein Asylantrag in GB mehr möglich ist und bei Anerkennung auch keine Einreise nach GB vorgesehen ist, mithin alles nach Rwanda verlagert wird. Ein Asylverfahren ist laut Migrationsforscher Gerald Knaus dennoch durchaus in Drittstaaten möglich, wenn das Asylverfahren nach der GFK und EU-Recht im Drittstaat garantiert wird und der Antragsteller nach Anerkennung in die EU einreisen kann. Dabei ist Rwanda nur ein Platzhalter für die grundsätzliche Möglichkeit solcher Verfahren, aber alle wissen doch, dass die dortigen Kapazitäten beschränkt sind und das nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre.

  • Man kann immer erstmal alles als Schnapsidee abtun. Besser nichts tun und zusehen wie die Nazis weiter an Boden gewinnen, bevor man selbst mal aktiv wird. Dann wird der Wähler aktiv, tolle Lösung!!

    • @SB64:

      Dann müsste ja erst einmal die These stimmen, dass es der Untätigkeit der Bundesregierung in der Asylpolitik zu verdanken ist, die der AfD die Wähler in die Arme treibt.



      Tatsächlich bestehen zurecht juristische Barrieren, die populistischen Forderungen in der Sache einen Riegel vorschieben. Gesetzliche Vorgaben lassen sich allerdings so weit ändern, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit dabei über die Wupper gehen … die AfD und ihre Fans muss das ja nicht jucken.



      Ich denke, umgekehrt wird ein Schuh daraus: indem das Asylrecht immer restriktiver wird, wird die AfD immer weiter genährt. Zuerst geht es nur um ein paar Hunderttausend Illegaler oder Flüchtlinge mit unsicherem Aufenthaltsstatus, dann um die „Remigration“ von Millionen Unliebsamer aus Deutschland, wenn es nach Typen wie Höcke oder Sellner geht. Und was folgt danach?

    • @SB64:

      Ich möchte gerne mal wissen, ob überhaupt jemand die angebliche Überlastung bemerken würde, wenn es nicht ständig erzählt werden würde.



      Ist ja nicht so, dass die Flüchtlige hier unkontrolliert in wilden Zeltstädten leben.



      Villeich wäre es mal ganz gut nicht auf den Zug aufzuspringen, es gibt auch noch 80% nicht AFD-Wähler. Die anderen Parteien tun alles um die 20% zu bekommen, die restlichen 80% sind scheinbar egal.



      Probleme wie Wohnungsmangel, Ärztemangel und Lehrermangel hatten wir auch schon vorher, wird zwar durch Flüchtlige verstärkt, durch Abschiebung aber auch nicht gelöst. Eher kann es durch Zuwanderung gelöst werden.

  • Die Einhaltung der Menschenrechte kann nur in Deutschland gewährleistet werden. Andere Länder schaffen das nicht: Das weiß doch jedes Kind!

  • Natürlich ist die Drittstaatenlösung eine Schnapsidee, da hat Bovenschulte vollkommen recht - und endlich mal ein Sozialdemokrat, der‘s ausspricht (!) - , aber solche „Ideen“ entstehen weiss Gott nicht beim Alkoholkonsum. Sie sind wohlkalkuliert.



    Wir werden noch erleben, wie die Gesetzeslage den neuen politischen „Erfordernissen“ angepasst wird, Menschenrechte und Rechtsstaat hin oder her.

  • Naja, das ist wohl das Maximum, das man erwarten kann: eine richtige Aussage, mit richtiger Konnotation, aber -mAn- verkehrtem Fokus in der Begründung. Unterm Strich mag ich die Aussage und finde sie richtig.

  • „Irreguläre Migration muss begrenzt werden, das ist keine Frage“, betonte Bovenschulte. „Aber die Drittstaatenreglung war von Anfang an eine politische Schnapsidee.“

    Gibt es tatsächlich noch Politiker die ihr Hirn einschalten und nicht nur an den Machterhalt denken?



    Danke Herr Bovenschulte.