Asylpolitik in Frankreich: Helfer wollen keine Sheriffs werden
Frankreichs Regierung schockiert Hilfsorganisationen damit, Migranten auch in Notunterkünften kontrollieren zu wollen. Doch deren Betreiber wehren sich.
Die französische Heilsarmee beherbergt hier eine Notunterkunft für Migranten und Flüchtlinge. Dessen Direktor Abdallah El Abadi weiß genau, wie das Haus zunächst wirkt. Er betont um so mehr: Es gibt keinen Grund, die Menschen in den Zimmern zu beneiden.
Nicht nur, dass die Bewohner komplizierte, oft traumatische Fluchtgeschichten hinter sich haben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt nun verstärkt auf Sicherheitsaspekte im Umgang mit Migranten, was auch innerhalb seiner Partei En Marche für heftige Kritik sorgt. Im Februar will er ein umfangreiches Asyl- und Einwanderungsgesetz vorlegen – doch schon jetzt sorgt der Kurs der Regierung dafür, dass das Leben für Flüchtlinge noch härter wird.
Das Innenministerium hat in seiner Jagd auf illegale Migranten auch Notunterkünfte von Hilfswerken wie der Heilsarmee ins Auge gefasst. Einst galten solche Unterkünfte wie das in Les Lilas als relativ unantastbar, als Horte der Fürsorge. Doch Ende des Jahres hat Innenminister Gérard Collomb die Regionalbehörden in einem Rundschreiben aufgefordert, auch in den Notunterkünften Personen zu kontrollieren.
Schattenseiten der Migrationspolitik
Heimleiter El Abadi möchte sich nicht vorstellen, was das für Konsequenzen hat. Kein Wunder, sind doch die meisten der Bewohner hier eh schon misstrauisch gegenüber den Behörden. Wie etwa die beiden Männer in der Küche, die sich Eintopf zubereiten, dessen wohlriechender Duft durch den Raum zieht. Ein Foto ist zwar okay, aber nur von hinten.
Ginge es nach der Regierung Macron, würde wohl der 23-jährige Amir A. aus Afghanistan als Beispiel herhalten für die Flüchtlinge, die das Land willkommen heißt. Wie die meisten Asylbewerber aus Afghanistan hatte Amir keine großen Schwierigkeiten, bei der für die Flüchtlinge und Staatenlosen zuständigen Behörde OFPRA eine positive Antwort auf sein Gesuch zu erhalten.
Sartaj S., Asylbewerber aus Pakistan
Jetzt wolle er sich rasch integrieren und einen Job im Verkauf finden, erzählt der junge Mann. Er ist strebsam: In Französischkursen von Studierenden lernt er die Sprache, selbst ergänzt er sein Wissen noch mal in der Bibliothek des Aufnahmezentrums.
Doch sind es andere Schicksale, die die Schattenseiten der französischen Migrationspolitik aufdecken. Fälle wie der von Sartaj S., der aus einem Grenzgebiet Pakistans stammt, er ist 41 Jahre alt. Sechs Jahre ist es her, dass er aus seiner Heimat flüchten und seine beiden Kinder bei Verwandten zurücklassen musste. Die Taliban hätten seinen Bruder ermordet, und er selber sei bedroht worden, weil er in einer Informationskampagne für Polio-Impfung tätig war, sagt er. Heute ist er sichtlich mit den Nerven am Ende.
Bleibender Rückenschaden
„Sie behandeln uns wie Tiere“, schimpft er auf Englisch. Gemeint sind die französischen Behörden und die Polizeipräfektur. „Wenn ich die Metro nehme, werde ich immer wieder von der Polizei kontrolliert. Ich zeige dann meine provisorische Bestätigung des Asylgesuchs. Aber die Polizisten geben mir deutlich zu verstehen, dass ich hier nicht willkommen bin.“
Sartajs rechtliche Lage ist kompliziert. Ursprünglich wollte er wie so viele andere via Calais über den Ärmelkanal nach Großbritannien. „Ich habe während drei Monaten vergeblich versucht, mit einem Laster rüber zu kommen. Für Schlepper hatte ich kein Geld.“ Das Resultat dieser erfolglosen nächtlichen Versuche, auf einen Laster aufzuspringen ist ein bleibender Rückenschaden.
Sartaj hat wenig Hoffnung auf ein Entgegenkommen der Administration. Da er auf der Durchreise in Italien samt seiner Fingerabdrücke registriert wurde, ist er ein sogenannter „Dubliner“. Laut den Regeln des Dublin-Übereinkommens kann Frankreich Sartaj nach Italien abschieben. Die „Dubliner“ sind ganz speziell im Visier der französischen Migrationsbehörden. Es sollen mindestens 40.000 Flüchtlinge sein, die Frankreich so nach Italien und in andere EU-Staaten ausweisen möchte.
Das kritisiert sogar der Direktor der französischen Flüchtlingsschutzbehörde OFPRA, Pascal Brice. „Kafkaesk“ nennt er diesen Vorgang, denn damit werde überhaupt kein Problem gelöst. Hingegen würden Menschen, die grundsätzlich als Flüchtlinge Schutz verdienen, zu einer politischen Manövriermasse, sagt Brice.
Widerspruch zum Humanismus
Heimleiter El Abadi kritisiert scharf, dass nun in Unterkünften wie der seinen Menschen kontrolliert werden sollen. „Das widerspricht unserer Charta und dem geltenden Recht, wenn wir das akzeptieren, gefährden wir nicht nur das Vertrauen der Leute, die wir ohne Vorbedingungen beherbergen, wir würden uns auch strafbar machen“, sagt El Abadi. Er weist darauf hin, dass die französische Gesetzgebung es nicht zulasse, Menschen nach Herkunft zu erfassen. „Aus diesem Grund lehnen die humanitären Organisationen dieses Ansinnen und Zirkular des Innenminister geschlossen ab. „Ein Teil der betroffenen Hilfswerke hat bereits eine verwaltungsgerichtliche Klage eingereicht.
Wie wenig glorios die Realität aussieht, bestätigen auch die Freiwilligen des Pariser Kollektivs La Chapelle debout, die im Norden der Hauptstadt an gestrandete Flüchtlinge und Obdachlose jeden Morgen ein gespendetes Frühstück verteilen.
Mehrfach aber habe in den letzten Monaten die Polizei mit fadenscheinigen Vorwänden wie Probleme mit Abfall oder Menschenansammlungen versucht, sie daran zu hindern, beschweren sich die Mitglieder dieser Gruppe. Von der gegenwärtigen Verschärfung der Asylpolitik erwarten sie nichts Gutes. In Calais hatte Präsident Macron den Flüchtlingshelfern nämlich am Dienstag unterstellt, sie wollten seine Migrationspolitik sabotieren.
Immerhin regt sich Protest: Eine Gruppe von Intellektuellen, davon mehrere Macron-Unterstützer von Anfang an, schrieb in einem offenen Brief in der Tageszeitung Le Monde: „Monsieur Macron, Ihre Politik widerspricht dem Humanismus, den Sie predigen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“