Asylbewerber in Sachsen: Fantasie statt Duldung
Der Flüchtlingsrat Sachsen kritisiert fiktive Papiere, die für Asylbewerber vergeben werden. Ihre Verfahren laufen in einem anderen Ankunftsland.
Auf taz-Nachfrage beim Sächsischen Ausländerbeauftragten wird klar, dass es in diesen Fällen nicht um drohende Abschiebungen in die Herkunftsländer von Geflüchteten geht. Es handele sich auch nicht um so genannte Fiktionsbescheinigungen, die vorübergehend während der formalen Abwicklung eines Verfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgestellt werden, sagt Sprecher Markus Gufler. Betroffen sind vielmehr Asylbewerber, die auch nach dem aktualisierten Dublin-III-Abkommen in das Ankunftsland überstellt werden müssten, in dem sie zuerst einen Asylantrag gestellt haben.
Eine solche „Überstellung“ in ein anderes europäisches Land gleicht praktisch auch einer Abschiebung, muss aber vom Zwangsrücktransport in weiterhin gefährliche Herkunftsländer unterschieden werden. Über die Anzahl solcher Fälle können weder der Flüchtlingsrat noch das Sächsische Innenministerium Auskunft geben. Es soll sich aber um vergleichsweise wenige Personen handeln. Beim Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth ist noch niemand mit einem solchen Problem vorstellig geworden.
„Deutschland ist in der Tat nicht zuständig. Diese Flüchtlinge befinden sich während ihres Aufenthalts hier in einer rechtlichen Grauzone“, sagt sein Sprecher. Erst dann, wenn sie nicht binnen eines halben Jahres in ihr europäisches Ankunftsland überstellt werden können, sind die deutschen Behörden zuständig. Ein gewisses Druckmittel, räumt Gufler ein. Eine Klage könne aufschiebende Wirkung haben, aber erfahrungsgemäß seien auch solche Verfahren in wenige als einem Jahr abgeschlossen.
Duldung in jedem Fall
„Die Alternative wäre, dass die Asylbewerber statt einer solchen Dublin-Identitätsbescheinigung gar nichts in die Hand bekommen“, ergänzt der Sprecher. Das sehen der Sächsische Flüchtlingsrat und einige Leipziger Flüchtlingshilfevereine anders. „Nach unserer Rechtsauffassung ist auch in diesen Fällen eine formale Duldungsbescheinigung auszustellen“, sagt Flüchtlingsratssprecher Mark Gärtner. Sonst wären diese Flüchtlinge vom öffentlichen Leben praktisch ausgeschlossen, während sie andererseits für die verbleibende Aufenthaltsdauer Überlebenshilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezögen.
Auch die Landtagsanfrage der Abgeordneten Juliane Nagel zitiert unter anderem aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.September 1997, wonach auch bei verzögerter oder unwahrscheinlicher Abschiebung in jedem Fall eine Duldung zu erteilen ist. Offensichtlich geht es um verschiedene Interpretationen des Begriffes „Abschiebung“. So hält das Innenministerium die Frage nach dem Prüfungszeitraum für Duldungsgründe für irrelevant, weil es sich „um eine andere Fallkonstellation handelt“. Provisorische Identitäts- oder Grenzübertrittsbescheinigungen verstießen deshalb nicht gegen geltendes Recht.
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