Asyl für Frauen: Besonders schutzlos

Flüchtlingsfrauen waren oft in ihrer Heimat besonders bedroht. Auch in deutschen Unterkünften sind sie in Gefahr. In Schleswig-Holstein fordern nun Experten ein Schutz-Konzept.

Opfer der Terrormiliz Boko Haram: Frauen warten nach ihrer Rettung in einem Flüchtlingscamp in Nigeria auf eine Mahlzeit Foto: AP Photo/ Sunday Alamba

HAMBURG taz | Wenn Frauen ihre Heimat verlassen, fliehen sie oft vor einer anderen Art von Leid als Männer. Sie haben nicht selten Vergewaltigungen oder Verstümmelungen ertragen müssen. Eine Frau zu sein kann in einigen Gesellschaften bedeuten, bedroht zu sein.

Seit zwölf Jahren kann diese sogenannte geschlechtsspezifische Verfolgung in Deutschland zu einem anerkannten Schutzanspruch führen. Zumindest theoretisch können etwa Misshandlungen in der Familie unter das Asylrecht fallen. Doch in der Praxis machen nur verhältnismäßig wenige Frauen von diesem Recht Gebrauch.

Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2015 von mehr als 135.000 Menschen, die Flüchtlingsschutz erhielten, weniger als ein Prozent aufgrund ihres Geschlechts geschützt. Zwar sind in dieser Auswertung nur ein Teil der Asylsuchenden erfasst, sie gibt aber einen Hinweis auf ein größeres Problem: Der Flüchtlingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, das Diakonische Werk, die Kieler Frauenberatung Contra und die schleswig-holsteinische Heinrich-Böll-Stiftung wollen nun auf einer Fachtagung der Frage nachgehen, wie Flüchtlinge besser vor geschlechtsspezifischer Verfolgung geschützt werden können.

Für den Vertreter des Flüchtlingsbeauftragten, Torsten Döhring, liegt die Ursache für die wenigen offiziell Schutzbedürftigen mit geschlechtsspezifischen Gründen vor allem an mangelnder Information. Frauen wüssten oft nicht, „welche Gründe zu einer eigenständigen Anerkennung als Flüchtling“ führen könnten. Vielen sei nicht bewusst, dass Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung oder häusliche Gewalt ein Schutzgrund sein können.

Herkunft: Zwischen Januar und September 2016 kamen laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die meisten Menschen, die ihren ersten Asylantrag stellten, aus Syrien, Irak und Iran.

Ziel: Die meisten Asylbewerber gingen im vergangenen Jahr nach Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen.

In Schleswig-Holstein stellten 27.548 Menschen ihren ersten Asylantrag – weniger als ein Fünftel der Flüchtlinge, die nach Nordrhein-Westfalen gingen.

Er fordert eine bessere Beratung der Geflüchteten, etwa durch „psychotherapeutisch geschultes Personal“. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), welches die Asylsuchenden anhört, müsse Frauen besser unterstützen, sagt Döhring. So sei es etwa erforderlich, dass Frauen ihre Anhörungsprotokolle vor ihrem Ehemann geheim halten können – zum Beispiel, indem sie das Papier zeitlich versetzt geschickt bekommen.

Auch die Leiterin der Hamburger Rechtsberatung Fluchtpunkt, Anne Harms, sieht in den Bamf-Gesprächen eine Ursache für die geringe Schutzquote. „Sexualisierte Gewalt ist ein Massenphänomen, dem zumindest durch subsidiären Schutz nicht genügend Rechnung getragen wird“, sagt sie. Dies bedeutet zwar kein Recht auf Asyl, aber einen behelfsmäßigen Anspruch, in Deutschland bleiben zu dürfen.

Denn nicht jede Vergewaltigung, die während eines Krieges geschehe, werde als geschlechtsspezifische Diskriminierung gewertet. Doch ein subsidiärer Schutz könne aus einer solchen Bedrohung sehr wohl erwachsen. Auch sie sieht das Bamf in der Pflicht, behutsamer mit den Frauen zu reden.

Eine Sprecherin des Bundesamtes weist die Kritik an den Verfahren zurück. „Bei jedem Asylverfahren handelt es sich um eine Einzelfallprüfung“, sagt sie. Sobald im Gespräch ein solches Problem ersichtlich werde, würden „speziell ausgebildete Entscheider“ hinzugezogen: „Wird in der Anhörung deutlich, dass weiblichen Antragstellerinnen die Situation unangenehm ist“, würden ihnen weibliche Beamte und Dolmetscherinnen angeboten.

Bereits im November hatte allerdings ein Fachgremium aus Wohlfahrtsverbänden von der schleswig-holsteinischen Landesregierung gefordert, Frauen schon in den Flüchtlingsunterkünften besser aufzuklären. Schon vor dem Antrag beim Bamf müssten die Frauen über ihre Rechte informiert werden, heißt es in dem gemeinsamen Papier. Ohnehin fehle es an einem übergreifenden Gewaltschutzkonzept für Frauen und Kinder in staatlichen Unterkünften. „Lediglich in den Städten Pinneberg, Flensburg und Kiel“ gäbe es Pläne, wie man Flüchtlingsfrauen vor Übergriffen in der Einrichtung schützt.

Zugleich sind Beratungsstellen spätestens seit dem vergangenen Jahr immer häufiger mit geflüchteten Frauen konfrontiert. „Wir begegnen dem Thema täglich“, sagt die Sprecherin des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-Holstein, Maeve Reichel. Gerade in den ländlichen Gebieten seien Beraterinnen mit den massiven Erfahrungen geflüchteter Frauen überfordert. Es fehle an Schulungen und Fachpersonal, sagt Reichel.

Auch die Frauenhäuser im Land seien vom Andrang der geflohenen Frauen überlastet. Jüngst habe sie bereits nach Plätzen in Mecklenburg-Vorpommern gesucht. Wenn eine Frau ihren Mann verlassen wolle, gebe es oft wenig Perspektiven für sie. Auch Männer, sagt Reichel, müssten besser über die Rechte und Regeln in Deutschland aufgeklärt werden.

In anderen Bundesländern wurden vergangenes Jahr bereits erste Gewaltschutzkonzepte für Flüchtlinge entwickelt. Ein bundesweites Gesetz, das besonders schutzbedürftige Flüchtlinge gesondert behandelt – und damit EU-Vorgaben entspricht –, fehlt dagegen bis heute.

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