Arztpraxen in abgehängten Stadtteilen: Gesundheit soll in Bremen gerechter verteilt werden
Die Bremer Fraktion Die Linke will ärmere Stadtteile medizinisch besser versorgen: mit Gesundheitszentren. Vorbild ist die Hamburger Poliklinik.
Die Linken wollen damit ein Problem lösen, das es auf dem Papier gar nicht gibt: Schaut man auf die Daten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bremen, dann ist die Stadt medizinisch ausgezeichnet versorgt. Der Versorgungsgrad mit Hausärzten beträgt rund 103 Prozent – perfekt! Bei Kinderärzt*innen werden sogar 125 Prozent erreicht. Und bei Psychotherapeut*innen ist Bremen mit 170 Prozent sogar überversorgt.
Wer genauer hinschaut, erkennt den Schönheitsfehler dieser Statistik: Die KV betrachtet die Stadt als ein einziges Versorgungsgebiet, die Ärzt*innen sind aber ungleich über die Stadt verteilt. Im gutbürgerlichen Schwachhausen ist ein*e Kinderärzt*in für 269 Kinder und Jugendliche zuständig. In Gröpelingen im Bremer Westen mit seinem niedrigen Sozialindex muss ein Kinderarzt 1.953 Kinder versorgen – mehr als das Siebenfache.
Bei anderen Fachärzt*innen ist das Verhältnis noch ungleicher: In Schwachhausen kommt auf 260 Menschen ein*e Psychotherapeut*in. In Gröpelingen gibt es eine Praxis für alle 37.423 Einwohner*innen. Die Lage wird dadurch verschärft, dass die Unterversorgung jene Stadtteile trifft, in denen die gesundheitlichen Probleme besonders gravierend sind – und dadurch, dass arme Menschen weniger mobil sind.
Medizinische Zentren für schlecht versorgte Stadtteile
In den unterversorgten Stadtteilen will die Linke kommunale Medizinische Versorgungszentren eröffnen. Neu ist die Idee eines MVZ in Bremen nicht. Die „Stadtteilversorgung über Gesundheitszentren“ zu stärken, war schon während der Pandemie 2020 erklärtes Ziel der Senatorin. Für einen Teilbereich wurde die Idee schon umgesetzt: Seit 2022 wurden auf Initiative der Stadt drei Hebammenzentren in unterversorgten Stadtteilen eröffnet – bundesweit ist das einmalig.
Diskutiert wird die Idee eines MVZ auch schon länger konkret für den Stadtteil Obervieland, als Kompensation für den Wegfall des Klinikums Links der Weser, das geschlossen wird. So könnte es passieren, dass das erste Versorgungszentrum im Bremer Süden eröffnet, obwohl Bremen-Nord, Bremerhaven und der Bremer Westen aktuell noch dringenderen Bedarf hätten. Noch in dieser Legislatur bis 2027, so die Vorstellungen der Linken, soll mit der Planung und Umsetzung eines ersten Zentrums begonnen werden.
Etwa eine halbe Million Euro bräuchte es als Anschubfinanzierung, schätzt der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Nelson Janßen. Da die im MVZ angestellten Ärzt*innen normale Kassensitze zugeteilt bekämen, würden auch die medizinischen Angebote vor Ort einfach über die Krankenkasse abgerechnet – nach ein paar Jahren sollte sich ein Zentrum deshalb selbst tragen.
Bisher sind es oft die Ärzt*innen, die sich scheuen, eine Praxis in einem der benachteiligten Quartiere zu eröffnen: Dort ist nicht nur die Zahl der Privatpatient*innen niedriger, auch die Arbeitsbelastung ist aufgrund der vielen unversorgten Menschen und wegen Sprachbarrieren höher.
Findet Bremen ausreichend Ärzt*innen?
Die Linke geht in ihrem Strategiepapier dennoch davon aus, dass die Stadt ausreichend Ärzt*innen für die Versorgungszentren in den betroffenen Quartieren gewinnen kann: Schließlich würden die im MVZ angestellt – eine attraktive Option für viele junge Ärzt*innen, die sich nicht selbstständig machen wollen. Auch die Kassenärztliche Vereinigung, die normalerweise allein über die Vergabe von Kassensitzen entscheidet, hofft man überzeugen zu können: Aktuell können viele Kassensitze gar nicht besetzt werden.
Die Bremer Linke bezieht sich als Vorbild auf eine Initiative aus Hamburg, die Poliklinik auf der Veddel. Die hat mit dem, was sich die Bremer Linken vorstellen, auf den ersten Blick nicht viel gemein: Sie entstand 2017 als selbstverwaltetes Stadtteil-Gesundheitszentrum, gegründet von Idealist*innen.
„Medizinisches Versorgungszentrum“ will man sich in Hamburg gar nicht nennen, vor allem Hausärzt*innen und Psychotherapeut*innen praktizieren dort. Nicht auf Fachärzt*innen zu setzen, ist eine bewusste Entscheidung: Es geht weniger um die Behandlung von spezifischen Krankheiten und Symptomen, sondern eher um einen Blick auf die systemischen Ursachen von Krankheit.
Statt eines Orthopäden vor Ort gibt es Mieterberatung, Selbstverteidigungskurse für Frauen und politische Kundgebungen. „Durch präventive Arbeit Menschen im Quartieren zu solidarisieren, das ist alles Gesundheitsarbeit“, erklärt Tobias Filmar, der in der Poliklinik Veddel als Psychotherapeut arbeitet und die multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Einheiten des Projekts koordiniert.
Weitere Ideen sollen „mittelfristig“ umgesetzt werden
Dieser ganzheitliche Blick auf Gesundheit eröffnet sich im Strategiepapier der Linken erst über einen zweiten Punkt: Stärken und neu gründen will die Fraktion im nächsten Schritt auch sogenannte Gesundheitstreffpunkte. Diese Anlaufstellen für Bewohner*innen in benachteiligten Stadtteilen ähneln dann tatsächlich der Poliklinik – geplant ist die Anbindung verschiedener sozialer Projekte und existierender Angebote an ein medizinisches Angebot.
Die Projekte, die man nach Vorstellung der Linken andocken könnte, gibt es oft schon. Neu aus dem Boden gestampft und gänzlich neu finanziert werden müssten sie also nicht. Ganz ohne Geld wird's wohl trotzdem nicht gehen, wenn man Filmar von der Poliklinik hört: Ärzt*innen, Pflegekräfte, Sozialberatungen – „für alle Teilbereiche muss es finanzierte Zeit geben, um miteinander ins Gespräch zu gehen“, sagt er.
In der Poliklinik Veddel selbst gibt es wöchentliche Teamsitzungen, für alle Patient*innen gibt es gemeinsame Fallberatungen. „Aber das wird bei uns nicht für alle Stellen gegenfinanziert. Wenn es keine Selbstausbeutung sein soll, dann hängt alles grundlegend an der Finanzierung.“ Vielleicht ein Grund dafür, warum die Gesundheitstreffpunkte – anders als die Versorgungszentren – im linken Strategiepapier nur „mittelfristig“ geplant sind.
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