Artenvielfalt in der Großstadt: Auf den Dächern kreucht es
Auf begrünten Dächern finden sich viele Arten, stellt ein Bericht für Hamburg fest. Allerdings bleibt der Senat hinter seinen Zielen zurück.
Begrünte Dächer haben eine Vielzahl positiver Effekte. Zum einen lassen sich damit die Folgen der ständig zunehmenden Flächenversiegelung mildern, zum anderen die Folgen des Klimawandels dämpfen. Die Vegetation auf dem Dach schützt die Dachabdeckung, sodass sie einer Faustregel nach doppelt so lange hält.
Die Begrünung isoliert das Gebäude und senkt die Temperatur auf dem Dach, sodass Photovoltaik-Anlagen besser funktionieren. Sie kann das Wasser starker Niederschläge aufnehmen, verzögert wieder abgeben und das Dach als Erholungsort nutzbar machen. Und zu guter Letzt schafft sie eben zusätzlichen und zum Teil sehr besonderen Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
Laut einer ökofaunistischen Begleituntersuchung der Stadt, der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Universität Hamburg haben begrünte Flachdächer in den vergangenen acht Jahren eine erstaunliche Artenvielfalt hervorgebracht. „Wir haben mehrere Käfer gefunden, die auf der Roten Liste stehen und sehr selten vorkommen – vor allem hier mitten in der Stadt“, sagte Hanna Bornholdt, die Projektleiterin für Hamburgs Gründachstrategie, der Deutschen Presseagentur (dpa).
Brütende Möwen auf dem Behördendach
Darunter seien viele Arten gewesen, die selbst Biologen nie so erwartet hätten, ergänzte Bornholdt. Neben den vielen Käferarten seien den Forschern innerhalb von zwei Jahren auch viele Wespen und Wildbienen in die Becherfallen gegangen. Damit werde gleichzeitig die Vogelwelt unterstützt. „Denn wo Insekten sind, gibt es auch mehr Vögel“, sagte Bornholdt. Wer beispielsweise bei der Umweltbehörde auf ein Gründach steigt, der kann dort brütende Möwen, Austernfischer und Enten finden.
Das setzt allerdings eine gewisse Qualität der Dachbegrünung voraus. Ein Gründach mit Rasen und Buchsbäumen ist zwar der Erholung und dem Stadtklima dienlich, trägt aber kaum zur biologischen Vielfalt bei. „Es kommt darauf an, wie man es strukturiert“, sagt Franziska Schmidt-Lewerkühne vom Naturschutzbund (Nabu). Eine kleine Sandfläche und Totholz machten da schon viel aus. So nützen drei Viertel aller Wildbienenarten Kies- und Sandflächen zum Nisten.
Die Umweltbehörde bietet daher Saatgutmischungen für eine Extensivbegrünung und eine einfache Intensivbegrünung an. Die extensive Mischung ist den extremen Standortbedingungen auf exponierten Dächern angepasst: Sonne, Wind und Trockenheit. Solche Pflanzen wachsen in der Natur in Trocken- und Halbtrockenrasen, Felsspalten und Zwergstrauchheiden. Moose, Sedumarten wie die Fetthenne, Kräuter und Gräser bildeten schnell geschlossene Pflanzenverbände, die sich ohne großen Aufwand selbst erhielten, verspricht die Umweltbehörde, die derartiges selbst auf dem Dach hat.
Die Behörde bietet auch eine Mischung für moderat-intensive Begrünung an. Hier muss die Bodenschicht etwas dicker sein. Neben Gräsern und Stauden können dort auch kleine Büsche wachsen. So ein einfach intensiv begrüntes Dach könne als Garten genutzt werden und sich auch zu einem Biotop entwickeln.
Bremen hat eine Gründachpflicht eingeführt
Das funktioniert dann so: Die Nachtkerze, eine Staude, öffnet kurz nach Sonnenuntergang ihre Blüten. Die werden von Nachtfaltern ausgesogen, die wiederum von Fledermäusen gefressen werden. Und im Winter dienen die Halme vieler Stauden Insekten als Unterschlupf. Dass die biologische Vielfalt auf gut angelegten Gründächern groß sei, überrasche sie nicht, sagt die Nabu-Referentin Schmidt-Lewerkühne. „Doch das ist leider nicht die Regel.“
Dazu kommt, dass das Gründachprogramm etwas lahmt. Bis zum Jahr 2020 hätten 100 Hektar Dächer begrünt werden sollen. Stand jetzt sind es laut dpa 80 Hektar – etwa halb soviel Fläche wie die Hamburger Außenalster. Die Umweltbehörde teilte auf Anfrage mit, die Summe sei unvollständig und enthalte nicht die sechs Hektar Autobahndeckel auf der A7 sowie die Begrünung der 8.000 Tiefgaragen.
Der Hamburger Senat verfolgt eine Mischstrategie aus fördern, werben und vorschreiben, etwa mit Hilfe des Abwassergesetzes oder der Bauordnung. Die Hansestadt Bremen hat dagegen vor zwei Jahren eine Gründachpflicht für bestimmte Gebäude eingeführt.
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