Artenschutz in Deutschland: Keiner will sie haben
Seit fast zehn Jahren lebt eine Herde Wisente in den Wäldern NRWs. Nun ist der Streit über die Wildrinder eskaliert.
Durch verschiedene Gerichtsurteile war der Verein verpflichtet, Waldbauern für Fraßschäden der Tiere an Buchen und Eichen zu entschädigen. Dem will er mit der Kündigung des Vertrags ausweichen und geht nun davon aus, dass die Tiere herrenlos sind, so wie Rehe oder Wildschweine. Zudem seien sie durch das Naturschutzgesetz geschützt. Der Anwalt des Vereins, Rüdiger Nebelsieck, teilte mit, „die Kündigung von öffentlich-rechtlichen Verträgen ist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz in bestimmten Fällen bei veränderten Verhältnissen zulässig“. Das sei hier der Fall, weil die Zwecke der Freisetzungsphase nach der rechtskräftigen Auffassung der Gerichte schon seit Langem erreicht seien. Die Aufgabe des Eigentums an den Tieren sei statthaft.
Die staatlichen Vertragspartner hingegen halten es für nicht rechtmäßig, dass der Verein sich „durch diesen rechtlichen Kniff seiner Verpflichtungen entledigen will, die grundlegende Voraussetzung dafür waren, dass der Trägerverein die Tiere seinerzeit überhaupt freisetzen durfte“. Der Verein wolle die Verantwortung für die Herde auf die öffentliche Hand überwälzen und zulasten der privaten Eigentümer eine Pflicht zur Duldung von Fraßschäden auslösen.
Ende vergangenen Jahres hatte ein wissenschaftliches Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover festgestellt, dass das Projekt nur mit einem großen internationalen Projektpartner möglich sei. Nötig seien ein besseres Herden- und Konfliktmanagement, eine intensivere wissenschaftliche Begleitung und eine auskömmliche Finanzierung von jährlich mindestens einer halben Million Euro – auch um Forderungen von Waldbesitzern auf Schadensausgleich sicherzustellen. Ein kleiner Verein könne diese Aufgaben nicht stemmen, hieß es in dem Gutachten.
Verein war offenbar überfordert
Das lenkt den Blick beispielsweise auf den WWF. Die Naturschutzorganisation hat mit Artenschutzprojekten weltweit viel Erfahrung und ist etwa an einem Wiederaussiedlungsprojekt von Wisenten im Kaukasus beteiligt. „Wir haben das Projekt von Anfang an begleitet“, sagt Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere in Deutschland. „Uns war seine Signalwirkung wichtig.“ Der Verein sei mit der „sehr großen Herausforderung, die es bedeutet, eine so große Tierart in der Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens anzusiedeln, ganz offensichtlich überfordert gewesen“, sagt Klose. Er hält die Stimmung der Beteiligten vor Ort durch jahrelange Gerichtsprozesse für so vergiftet, dass eine Fortführung des Projekts in der jetzigen Form nicht erfolgversprechend sei. Klose sieht nun vor allem die Landesregierung in Düsseldorf in der Pflicht.
Das zuständige Umweltministerium unter dem grünen Minister Oliver Krischer jedoch zeigt sich angesichts des eskalierten Streits zunächst ratlos und verschickt auf Anfrage eine dürre Mitteilung: „Wir bedauern die jüngste Entwicklung rund um das Wisentprojekt. Der Bund, das Land und der Kreis Siegen-Wittgenstein haben das Wisentprojekt langjährig wohlwollend begleitet und auch finanziell unterstützt. Der angekündigte Schritt seitens des Trägervereins wirft vertragsrechtliche, artenschutzrechtliche und finanzielle Fragen auf, die es jetzt zu klären gilt.“
Droht dem Wisent ein ähnliches Ende wie dem Luchs?
Dabei zeichnen sich, angesichts der Tatsache, dass Wisente eine streng geschützte Art sind, drei Optionen ab. Die erste: Die Tiere bleiben vor Ort, das Land NRW übernimmt Management und Verantwortung für die Herde. Das bedeutet, es haftet für Fraßschäden, sorgt eventuell mit Wildäckern oder Wiesen dafür, dass die Tiere nicht zu weit wandern oder Bäume anfressen, übernimmt die Kommunikation mit der Bevölkerung, und so weiter. Die zweite: Die Tiere werden eingefangen und in einen Zoo oder in eine Gegend gebracht, in der schon Wisente leben, etwa in Polen, Rumänien oder dem Kaukasus.
Drittens könnten die Wisente den Weg der Luchse im bayerischen Wald gehen. Dort waren die heimischen Raubkatzen in den 1970er Jahren ausgesetzt worden, mangelhaft kommuniziert und gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung. Es ist ein offenes Geheimnis, das Wilderei dafür sorgt, dass der Luchs sich in der Gegend nicht stabil vermehrt und ausbreitet. Und so könnten auch die Wisente aus Wittgenstein in den nächsten Jahren still und leise einfach wieder verschwinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste