Arte-Film „Geliefert“ mit Bjarne Mädel: Rote Weste, blaue Weste
Bjarne Mädel beeindruckt im Sozialdrama „Geliefert“ als prekär beschäftigter Vater. Am Ende ist die Frage von Arm und Reich dem Einzelnen überlassen.
Niemand würde sich im Fernsehen freiwillig einen Arbeitsalltag anschauen, der aus Routinen und Wiederholungen besteht, weil das schlichtweg langweilig wäre, schreibt der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt im linken Magazin Jacobin.
Diese Feststellung ist nicht herablassend gemeint. Alle abhängig Beschäftigten sind gleichermaßen Lohnsklaven. Während das moderne Prekariat aber noch an der Selbstlüge von erfüllender, weil vermeintlich kreativer Lohnarbeit festhält, um die Selbstdisziplinierung besser zu ertragen und sich für etwas Besseres zu halten, haben andere, die sich etwa im Dienstleistungssektor bewegen, sicher auch gerne mit Menschen zu tun: Prioritär geht es hier aber darum, das Gemeinwesen am Laufen zu halten. Die Aktivitäten mögen sich wiederholen, aber sie sind im Vergleich zu Tätigkeiten der Kreativen wirklich sinnvoll.
Der von Bjarne Mädel gespielte Paketlieferant Volker belässt es in „Geliefert“ von Regisseur Jan Fehse aber zum Glück nicht bei dieser einen Tätigkeit, mit der er vergeblich versucht, sich und seinen identitätskriselnden 16-jährigen Sohn Benny über Wasser zu halten. Mit einem zweiten Job bringt er Spannung in seinen Existenzkampf: In den Gebäuden, in denen er Pakete ausliefert, kontrolliert er von nun an auch Rauchmelder. Damit sein Sohn mit auf die Schulabschlussfahrt nach Mallorca fahren kann.
Das ist gut für das anspruchsvolle Arte-Publikum, das unterhalten werden will. Für Volker ist es scheiße. Denn seine verdichteten Arbeitstage treiben ihm noch mehr Schweiß auf die Stirn. Und er muss jetzt immer zwei Westen dabeihaben, eine blaue für den Paketdienst und eine rote für die Rauchmelderfirma. Und er kommt durcheinander. Und wenn sein Vorgesetzter Konrad (Stefan Merki), der auf moderne Mittel setzt, um seine Mitarbeiter zu überwachen, Volker frühmorgens beim Abholen der Pakete mit abschätzigen Sprüchen über seine Performance terrorisiert, dann reicht Volker auch das ehrenamtliche Trainerdasein für die Dorfjugendmannschaft als Ausgleich nicht mehr.
Der den Job sichert
Sehenswert ist der Film aber nicht wegen der halb kriminellen Rauchmelder-Sidestory. Sondern, weil Mädel es schafft, auf würdevolle Weise laut über die Schwierigkeiten von Volker nachzudenken, ohne dass das sozialvoyeuristisch oder pädagogisch rüberkommt.
„Geliefert“, Freitag, 27. August, 20:15 Uhr, Arte
Vielsagend sind auch die Begegnungen mit den Empfänger:innen der Pakete, die – wie im Fall der verwitweten, einsamen und hilfsbedürftigen, aber wohlhabenden Frau Stolte (Ingrid Resch) – zeigen, dass Geld irgendwie ja nicht alles im Leben ist, die diesen realitätsfernen und mittelschichtig-saturierten Ausspruch dann aber auch wieder korrigieren. Etwa die Begegnung mit einem jungen Snob im rosafarbenen Polohemd, der zwei Kisten voller Weinflaschen von Volker geliefert bekommt:
„Der Wein hier, ne, der ist doch von der Weinhandlung unten aus dem Erdgeschoss?“
„Ja, genau. Also vom zugehörigen Onlinehandel.“
„Und warum bestellen Sie den online, wenn Sie eine Filiale im Haus haben?“
„Na ja, der Preis ist derselbe und die Lieferung ist umsonst, dann muss ich die Kisten nicht selber hochschleppen.“
„Aber wenn ich die Kisten hochschleppen muss, ist das okay für Sie?“
„Das ist Ihr Job. Also ich sichere sozusagen Ihren Job.“
„Das meinen Sie ernst, oder?“
Schweigen. Der sichtlich überforderte Snob kramt ein paar Münzen aus der Hosentasche, Volker mit schweißnassen Nackenhaaren antwortet: „Nee, behalten Sie Ihre Almosen. Aber vielleicht denken Sie mal fünf Minuten über den Schwachsinn nach, den Sie reden.“
Schade nur, dass der Film, anders als in dieser Szene angedeutet, die Frage von Arm und Reich am Ende dann doch als eine der Moral und individueller Aufrichtigkeit erscheinen lässt. Nämlich wenn Volker wegen des unangemeldeten Nebenverdienstes gekündigt wird und mit einer Freundin, der Polizistin Lena (Anne Schäfer), über Gerechtigkeit spricht und schuldbewusst und unter Tränen sagt: „Ich traue mir selbst nicht mehr.“
Und diese Szene ist es auch, in der dieser Film nicht irgendeine Lebensrealität oder irgendeinen Arbeitsalltag widerspiegelt, sondern nur seinem interessierten, bürgerlichen Publikum gefallen möchte.
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