Armut in der Türkei: Teures Silvesterfest
In der Türkei wird der letzte Tag des Jahres als „Yılbaşı“ groß gefeiert. Doch Nahrungsmittel, Deko und Co kosten im Vorjahresvergleich das Dreifache.
Schnell noch zum Supermarkt vor Silvester. Der letzte Tag des Jahres heißt in der Türkei „Yılbaşı“ (Kopf des Jahres) und wird in vielen Familien festlich begangen. Da kommt die Großfamilie zu Besuch, manchmal kommen auch noch Freunde und Bekannte, und dafür muss ein ansehnliches Essen auf den Tisch. Truthahn ist eine Option, wenn nicht so viele Leute zusammenkommen, reicht auch kleineres Geflügel.
Wie in Deutschland zu Weihnachten werden zu Yılbaşı die Kunden mit festlichem Schmuck angelockt, der dem deutschen Weihnachtsschmuck nicht unähnlich ist. In einem Einkaufszentrum steht ein Tannenbaum aus Aluminium, sogar mit einem Weihnachtsstern auf der Spitze. Geschmückte Läden lassen das Ganze in festlichem Glanz erstrahlen.
Doch die Vorfreude auf Yılbaşı weicht einem gelinden Schock, wenn am Ende des Einkaufs die zu zahlende Summe auf dem Display der elektronischen Kasse aufleuchtet. Mehr als 3.000 Lira (60 Euro), ohne teure Alkoholika und ohne Truthahn, der sowieso noch beim Metzger darauf wartet, abgeholt zu werden – das ist viel Geld. Allein der Truthahn wird noch einmal rund 4.000 Lira kosten.
Offiziell ist die Inflation in der Türkei Ende 2025 auf rund 30 Prozent zurückgegangen, von rund 70 Prozent im vergangenen Jahr. Finanz- und Wirtschaftsministerium verkünden auf allen Kanälen von den großen Erfolgen bei der Inflationsbekämpfung, sogar die internationalen Ratingagenturen geben der Türkei wieder bessere Noten. Doch bei den Preisen merkt man nichts davon.
Nahrungsmittel um ein Drittel teurer
Im vergangenen Jahr kostete ein vergleichbarer Einkauf noch 1.000 Lira, und das Durchschnittseinkommen ist keineswegs um das Dreifache gestiegen. Der Durchschnitt bei den Renten liegt um 20.000 Lira, knapp 400 Euro, der Mindestlohn soll 2026 auf 27.000 Lira steigen.
Wie in Deutschland sind die Mieten mindestens in den Großstädten ein großes Problem. Für eine Dreizimmerwohnung ist man schnell mit 50.000 Lira, rund 1.000 Euro, dabei. Glücklich, wer schon lange in seiner Wohnung lebt und durch eine Mietendeckelung in den Coronajahren mit seiner Miete weit unter der Inflationsrate bleiben konnte. Doch wer jetzt was Neues sucht, muss schon über mehrere Verdiener in der Familie verfügen, um sich die Miete leisten zu können.
Wie man auch an den Kunden der Kent Lokantası, der kommunalen Restaurants, sehen kann, leben vor allem sehr viele Rentner unter der Armutsgrenze. Wenn sie nicht eine Eigentumswohnung haben, können sich viele Istanbul nicht mehr leisten. Zurück aufs Land, heißt die Devise, wer Glück hat, hat noch Verwandte in dem Dorf, aus dem die Familie ursprünglich einmal nach Istanbul ausgewandert ist.
Wer bleibt, muss den Mangel möglichst klug verwalten. Es gibt Fahrgemeinschaften zum nächstgrößeren preiswerten Wochenmarkt, wo man sich mit den wichtigsten frischen Nahrungsmitteln eindecken kann. Brot kann man für wenig Geld an den städtischen Ausgabestellen einkaufen, und tagsüber treffen sich RentnerInnen und StudentInnen in öffentlichen Bibliotheken oder anderen Gemeinschaftsräumen, um zu Hause Heizkosten zu sparen. Wenn man dann noch im nächsten Kent-Lokantası eine warme Mahlzeit für kleines Geld bekommt, schafft man es mit viel Glück, unbeschadet ins neue Jahr zu kommen.
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