Armee und Miliz in Belarus: Auf der Seite des Volkes?
Sicherheitskräfte schreiben einen offenen Brief. Begehren sie gegen den Staat auf? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 43.
![OMON Sicherheitskräfte tragen einen Demonstranten weg OMON Sicherheitskräfte tragen einen Demonstranten weg](https://taz.de/picture/4561504/14/belarus-demonstration-sicherheitskraefte-lukaschenko-1.jpeg)
D er bekannte und einflussreiche oppositionelle Telegram-Kanal NEXTA, der 1.686.604 Abonent*innen hat, hat einen offenen Brief noch aktiver und ehemaliger Angehöriger der belarussischen Strafverfolgungsbehörden veröffentlicht. Darin wird gefordert, die Präsidentenwahl in Belarus für ungültig zu erklären und neue Wahlen durchzuführen, die internationalen Regeln entsprechen. Darüber hinaus drücken die Verfasser ihre Unzufriedenheit aus: Wegen der Aktionen von Führungskräften des Sicherheitsapparats sei ihr Beruf in den Augen der Gesellschaft diskreditiert worden.
„Die offensichtliche Fälschung der Ergebnisse der belarussischen Präsidentenwahl vom 9. August 2020 kommt einer kompletten Bankrotterklärung unseres Rechtssystems gleich, hat die Gesellschaft gespalten sowie die Unabhängigkeit und Souveränität unseres Landes bedroht. Die ungerechten Wahlen sind in den Augen der Weltgemeinschaft zum Hauptgrund für gesellschaftliches Chaos, den schnellen Verlust außenpolitischen Einflusses, die Zerstörung ökonomischen Potenzials sowie den Niedergang des sportlichen und kulturellen Images der Republik Belarus geworden.
![](https://taz.de/picture/4371510/14/26001150-1.jpeg)
Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.
Wir alle wissen, dass die Mehrheit von uns anständige Menschen und echte Profis auf ihrem Gebiet sind. Nichtsdestotrotz ist die Mehrheit unserer Kollegen gezeichnet von der Ausführung verbrecherischer Befehle aufseiten einer Gruppe von Leuten, die sich in unserem Land illegal an der Macht halten.
Unter dem Deckmantel des Patriotismus verteidigt diese Gruppe, indem sie gegen die Verfassung verstößt, ausschließlich ihre materiellen Interessen. Diese Leute versuchen, mit unseren Händen den Willen des belarussischen Volkes zu unterdrücken, um ihre Posten und ihr gesetzeswidrig erworbenes Eigentum zu sichern“, heißt es in dem Brief.
ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.
Aus Sicherheitsgründen werden die Unterschriften im Verborgenen gesammelt (das war auch im Fall des Briefes der belarussischen Ärzt*innen so, den rund 6.000 Personen unterschrieben haben). Die Liste wird erst veröffentlicht, wenn eintausend Unterschriften zusammengekommen sind. Dem OMON, der sich vor allem darum kümmert, friedliche Proteste aufzulösen, gehören übrigens rund 1.500 Mitarbeiter an. Das jedoch bedeutet: Wenn in der Armee dahingehend die Stimmung kippt, die Krise zu lösen und im Land die Vorherrschaft von Recht und Gesetz wiederherzustellen, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer „Palastrevolution“ keine Illusion mehr.
Wenn Miliz und Armee zum Volk überlaufen, wird es mit dieser surrealistischen Hölle, in der wir seit über vier Monaten leben, endlich vorbei sein. Ich möchte sonntags spazieren gehen, egal welche Farbe meine Kleidung hat, und nicht immer Angst haben müssen, vor den Augen von Kindern festgenommen zu werden. Ich will keine vorbeifahrenden Wasserwerfer mehr sehen, die auch bei Minustemperaturen ständig einsatzbereit sind. Ich möchte nicht länger diese absurden und manchmal offen groben Aussprüche der Macht an meine Adresse hören. Und: Ich will in einem freien Land leben. In meinem freien Land.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!