„Arisierungs“-Mahnmal in Bemen: Schemenhafte Geschichte

Ihren Aufstieg verdankt eine Bremer Spedition Geschäften mit den Nazis. Lange kämpfte ein taz-Redakteur für ein Mahnmal, das nun gebaut wird.

Eine Illustration in Videogame-Ästhetik. Hände halten ein Tablet. Auf dem Display ist eine Szene zu sehen, in der Männer in braunen Uniformen und mit roter Armbinde eine Kiste in ein Haus tragen

Schemenhafte Geschichte, als Erinnerung Illustration: Sebastian König

BREMEN taz | Der Biedermeier-Sekretär der Großeltern: Wem hatte er früher gehört? Hatte ihn der Staat vor 80 Jahren beschlagnahmt und weiter verkauft, als eine jüdische Familie aus Deutschland floh? Oder hatte er im Ausland in einer Wohnung gestanden, bis die Be­sit­ze­r:in­nen ins Vernichtungs­lager deportiert wurden?

Es sind solche Denkprozesse, die der ehemalige Bremer taz-Redakteur Henning Bleyl anstoßen will. Seit 2015 setzt er sich für ein Mahnmal ein, das „die materielle Dimension des Holocaust“ sichtbar macht, im Juni, so hat es jetzt die Landesregierung beschlossen, soll Baubeginn sein.

„Jedes Dorf braucht so etwas“, sagt Bleyl, weil sich überall Organisationen, Unternehmen und Privatpersonen am Massenmord an den europäischen Jü­d:in­nen bereicherten.

Aber in Bremen hat das Thema eine größere Dimension, als Auswanderungshafen und weil sich hier der Stammsitz von Kühne + Nagel befindet, ein weltweit führender Transport- und Logistikkonzern. Der wurde so groß, haben Historiker nachgewiesen, weil er in der Zeit des Nationalsozialismus eine Quasimonopolstellung für den Transport von beschlagnahmten Möbeln aus ganz West­europa inne hatte.

Der Ort des Mahnmals

Deshalb soll das Mahnmal in Sichtnähe des Kühne-+-Nagel-Gebäudes an der Weser entstehen, unterhalb der Wilhelm-Kaisen-Brücke. Bleyl zeigt auf die Kaimauer. Dort wird ein sechs Meter hoher Schacht gebaut, auf den ersten Blick eine Fortsetzung der Mauer. Die Decke wird aus Panzerglas bestehen. Wer darüber läuft, sieht nur den leeren Schacht.

Erst wer vom Straßenniveau auf den Uferweg hinuntersteigt, erkennt: Da war mal mehr. Ein, vielleicht auch zwei Fenster geben den Blick ins ­Innere des Schachts frei, und dort, an den Wänden, sollen Schemen von Möbeln zu sehen sein, die nur noch als zweidimensionales Negativ existieren.

Von Evin Oettingshausen stammt das Konzept. Oettingshausen hatte 2016 einen von der taz initiierten Gestaltungswettbewerb für das Mahnmal gewonnen. Das sollte ursprünglich direkt am Firmensitz von Kühne + Nagel stehen. Die taz hatte Spenden gesammelt, um einen Teil des Grundstücks zu kaufen, auf dem das Firmengebäude neu gebaut wurde. 27.000 Euro waren so zusammengekommen, die jetzt teils in die Finanzierung des Mahnmals eingehen.

Zwang zur Beschäftigung

Das – abgelehnte – Kaufgebot war eine symbolische Aktion, mit der Bleyl die Stadtgesellschaft zwang, sich mit der NS-Geschichte des angesehenen Unternehmens zu beschäftigen. Denn die hatte der heute 84-jährige Klaus-Michael Kühne, Mehrheitsaktionär und langjähriger Vorstandsvorsitzender, erfolgreich unter den Teppich gekehrt. So gab es 2015 auf dem Bremer Marktplatz eine Jubelsause anlässlich des 125-jährigen Firmenjubiläums.

Bremens damaliger SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen applaudierte, wenn auch Kühne in der Schweiz lebt und als Mäzen vor allem in seinem Geburtsort Hamburg wirkt. Ausgespart wurde in der historischen Rückschau der Wachstumsschub, den das damals von Kühnes Vater geleitete Unternehmen in den 30ern und 40ern erlebte: Über den Transport des Besitzes der fliehenden Jü­d:in­nen, später über den der Deportierten. Dass die Firma die NS-Verstrickung abstritt, war der Grund, warum Bleyl das Mahnmal initiierte.

Zwar sprach Kühne im Oktober in einem Zeit-Interview erstmals von der „Nazi-Vergangenheit“ seiner Firma, behauptete aber weiter wahrheitswidrig, es gebe kein Archivmaterial, das er zur Aufarbeitung der Firmengeschichte nutzen könnte. Und er spielte die Bedeutung herunter, die die NS-Zeit für die Expansion der Firma hatte.

Nicht nur Kühne, auch die Bremer SPD versuchte lange, das Vorhaben zu torpedieren, am Firmensitz ein Mahnmal zu errichten. Jetzt ist es näher dran, als der SPD lieb war. Dafür trennt eine vierspurige Brücke Gebäude und Erinnerungsort.

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