piwik no script img

Argentiniens Ex-Abgeordnete SchlotthauerFrüher abstimmen, heute putzen

Die argentinische Abgeordnete Mónica Schlotthauer putzt nach vier Jahren wieder Bahnsteige. Ihre politische Arbeit will sie dort fortsetzen.

Heldin des Alltags: Mónica Schlotthauer kämpft gegen das Patriarchat Foto: Izquierda Socialista

BUENOS AIRES taz | Wenn Argentiniens Züge so schnell wären, wie Mónica Schlotthauer über die Bahnsteige fegt, dann würden die Vor­stadt­pend­le­r*in­nen weniger Zeit verschwenden. Vier Jahre lang war sie Abgeordnete für die Frente de Izquierda y de los Trabajadores (Front der Linken und der Arbeiter). Zuerst für zwei Jahre im Provinzparlament von Buenos Aires, dann zwei Jahre im Nationalkongress.

Am 10. Dezember 2019 endete ihr Mandat. Ihren angestammten Arbeitsplatz als Reinigungskraft im berüchtigten Pendlerbahnhof Once von Buenos Aires hat sie vergangene Woche wieder eingenommen.

„Sie haben mich gut aufgenommen. Alle waren überrascht und glücklich“, sagte die 56-Jährige via Youtube über ihren ersten Arbeitstag. „Einige werden sicher denken, ich sei eine Idiotin. Aber das Wichtige ist, was meine Kolleginnen und die Leute sagen, die ein anderes politisches Modell wollen.“

Deshalb wird Schlotthauer nicht nur Züge und Bahnsteige durchfegen. Auch ihre Gewerkschaftsaktivitäten will sie wieder aufnehmen. Die männlichen Chefs seien jetzt schon „sehr genervt, weil sie wissen, dass ich wieder fordern und streiten werde“.

Gewerkschaftserfahrung in Venezuela

Allerdings nur für gut ein Jahr. Im März 2021 wird Schlotthauer wieder als Abgeordnete im Kongress sitzen und den jetzigen Mandatsträger ablösen. Die Frente de Izquierda y de los Trabajadores ist die einzige politische Allianz im Kongress, die ihre Abgeordneten konsequent rotieren lässt.

Geboren und aufgewachsen ist Schlotthauer in Isidro Casanova, einer Kleinstadt in La Matanza, dem bevölkerungsreichsten Bezirk im Großraum von Buenos Aires. Nach dem Militärputsch von 1976 schloss sie sich der Partido Socialista de los Trabajadores (Sozialistische Arbeiterpartei) an.

Nach der Rückkehr zu Demokratie 1983 begann sie ihre Karriere als Gewerkschafterin. Zehn Jahre lang arbeitete die Delegierte im Krankenhaus Sanatorio Antártida. „Bereits beim ersten Kampf gegen die Arbeitsrechtsreform des damaligen Präsidenten Carlos Ménem wurden alle Delegierten rausgeschmissen“, erzählt sie.

Sie heuerte in verschiedenen Callcentern an und wurde immer wieder nach kurzer Zeit entlassen. 2005 ging sie nach Venezuela und engagierte sich bei der dortigen Gewerkschaft Unión Nacional de Trabajadores (Nationale Arbeitergewerkschaft).

Nicht nur putzen!

Zwei Jahre später kehrte sie nach Argentinien zurück und arbeitete einige Monate in einer Textilfabrik. Dann bot sich eine Festanstellung als Reinigungskraft bei der Eisenbahn an. Schlotthauer griff zu und engagierte sich wieder als Gewerkschafterin. „Als ich eintrat, durften die Frauen gerade mal putzen. Aber wir wollten nicht nur putzen, wir wollten auch Lokführerinnen werden“, erinnert sie sich.

Mit anderen gründete sie die Gruppe ‚­Mu­jer Bonita es la que lucha‘ (Pretty Woman ist die, die kämpft) und streitet für die Chancengleichheit der Geschlechter am Arbeitsplatz. „Wir kämpfen gegen alle arbeitgeber- und patriarchalischen Hindernisse in dieser Gesellschaft, die uns zu den schlimmsten und prekären Beschäftigungen zwingen“, so Schlotthauer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!