Argentinien in Doppelkrise: Corona trifft auf Wirtschaftskrise
Die Corona-Pandemie breitet sich auch in Argentinien aus. Die Regierung verspricht massive finanzielle Hilfe. Doch woher nehmen?
![Ein Frau mit Mundschutz steht in einem Supermarkt hinte reiner Plastikfolie. Ein Frau mit Mundschutz steht in einem Supermarkt hinte reiner Plastikfolie.](https://taz.de/picture/4040095/14/24994073-1.jpeg)
Derzeit gibt es 79 positiv getestete Personen im Land, zwei Menschen sind bisher gestorben. Alle Fälle sind auf Rückreisende zurückzuführen. Präsident Fernández hatte bereits vergangene Woche die Aussetzung von internationalen Passagierflügen aus den vom Coronavirus betroffenen Ländern Europas, USA, Südkorea, Japan, China und dem Iran verfügt. Seit Dienstag gilt dies auch für die Nachbarländer Chile und Brasilien.
Zugleich verhängte der Präsident für ein Jahr den Gesundheitsnotstand über das Land. Die Schulen sind geschlossen, lediglich die Schulspeisungen sind erlaubt. Für Kinder armer Familien ist das oftmals die wichtigste Mahlzeit am Tag. Alle Bürger*innen sind verpflichtet sich bei auftretenden Krankheitssymptomen zu melden. Personen, die in den letzten zwei Wochen aus den betroffenen Ländern eingereist sind oder noch einreisen werden, müssen sich einer 14-tägigen Quarantäne unterstellen.
Vergangenen Sonntag waren 270 Ausländer*innen des Landes verwiesen worden, weil sie dies nicht befolgen wollten. Zuwiderhandlungen können im härtesten Fall mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Inzwischen wird auch der interne Reiseverkehr nach und nach eingeschränkt.
Das Land befand sich schon vorher in der Krise
Argentinien erlebt nicht erst seit dem Auftauchen des Virus eine Wirtschafts- und Finanzkrise. Schon vor Corona konnte der Staat seine Schuldenlast von rund 310 Milliarden Dollar nicht meistern. Deshalb fielen die Kurse argentinischer Staatsanleihen und Firmenaktien seit dem Ausbruch Pandemie noch dramatischer als anderswo. „Das Einzige was hier steigt, sind die Infektionen und das Länderrisiko“, so der Galgenhumor an der Börse in Buenos Aires.
Argentiniens Länderrisiko, aufgestellt von der US-amerikanischen Bank JP Morgan für die Vergabe von Krediten, kletterte innerhalb eines Monats von 2.000 auf 3.800 Punkte. Die von der Regierung angestrengten Schuldenneuverhandlungen sind ins Stocken geraten. Gegenwertig niemand sagen kann, wie viel argentinische Anleihen überhaupt noch wert sind. Finanzminister Martín Guzmán kann den Gläubiger*innen kein verhandelbares Umschuldungsangebot vorlegen. Und dass die Regierung jetzt ihre Haushaltsdisziplin aufgegeben hat, kommt bei ihnen nicht gut an.
Devisen sind jetzt schon knapp
Dabei wird die Zeit immer knapper. Spätestens wenn im April der Schuldendienst bei den Dollarkrediten nicht geleistet werden kann, werden die internationalen Ratingagenturen Argentinien das Etikett der Zahlungsunfähigkeit anhaften. Dann ist der Zugang zu den internationalen Kreditmärkten ganz versperrt. Schon jetzt verschärft sich die Devisenknappheit. Da China kaum noch was kauft, ist der Preis für Soja mit rund 300 Dollar pro Tonne auf ein Zehnmonatstief gefallen. Soja ist Argentiniens wichtigster Devisenbringer, 33 Prozent davon gehen als Exportsteuern direkt an den Fiskus.
Dagegen hat der Ölpreissturz eher langfristige Konsequenzen. Die Ausbeutung der riesigen Schieferöl- und Gasvorkommen im Süden Argentiniens durch Fracking ist bei diesem Preis nicht rentabel. Angesichts dieses Panoramas greift die Regierung zur Notenpresse. Deren Drehzahl lag schon in den vergangenen Monaten hoch. Jetzt wird sie beschleunigt. Dass dies bisher nicht zu einem Inflationsschub führte, ist den eingefrorenen Tarifen für Strom, Gas und Transport und den rigorosen Devisenrestriktionen geschuldet, die den offiziellen Dollarkurs im Zaum halten. Kaum jemand zweifelt daran, dass früher oder später Inflationsrate steigen wird.
Reiche horten
Leiden werden darunter die ärmeren Schichten. Vielen Familien hat die zweistellige Inflationsrate in den vergangenen Jahren die Kaufkraft weggefressen. Wer als vierköpfige Familie heute nicht über ein monatliches Einkommen von 41.000 Pesos (585 Euro) verfügt, gilt als arm. Dazu gehören 34 Prozent der Bevölkerung. Weniger leiden werden die Mittel- und Oberschichten.
Nach einer privaten Schätzung, die sich auf Untersuchungen der US-Regierung und Daten lokaler Wechselstuben stützt, lagern unter argentinischen Matratzen und in Schließfächern rund 130 Milliarden Dollar. Kein Zweifel, dass deren Eigentümer*innen zur Mittel- und Oberschicht gehören, die sich zum Schwarzmarktkurs ihre benötigten Pesos besorgen können. Die Kluft zwischen dem offiziellen und dem inoffiziellen Kurs ist mit gegenwärtig 22 Pesos ein guter Inflationsausgleich.
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