KOMMENTAR VON RIEKE HAVERTZ ZU DEN KONSEQUENZEN AUS CHARLESTON: Kosmetik hilft nicht
Die Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston war voll, als am Sonntag erstmals wieder ein Gottesdienst gefeiert wurde, um der sechs Frauen und drei Männer zu gedenken, die von Dylann Roof aus rassistischen Motiven erschossen wurden. Um die Spuren des Verbrechens zu verbergen, wurden alle Einschusslöcher beseitigt. Kosmetik für eine Tat, deren Folgen in der Gesellschaft nicht so einfach überdeckt werden können.
Ein 21-Jähriger ist wegen neunfachen Mordes angeklagt, weil er sich von seinem Geburtstagsgeld eine Waffe kaufte, um gezielt Schwarze zu töten. 50 Jahre nach den blutigen Rassenunruhen und der daraus resultierenden Gleichstellung von Afroamerikanern und Weißen bricht der Rassismus gewalttätig aus. Der Tod des Schwarzen Michael Brown in Ferguson 2014 brachte die Wut darüber auf die Straßen. Mit jeder weiteren Tat manifestiert sich, was so viele Amerikaner ignorieren wollen: dass ihre Gesellschaft auseinanderzubrechen droht. Die einen hängen die Konföderiertenflagge – Symbol der Staaten, die im 19. Jahrhundert an der Sklaverei festhalten wollten – mit Stolz vor ihr Haus, die anderen fordern zu Recht, sie ins Museum zu verbannen.
Barack Obama trat mit der Verheißung an, die Linke und Rechte miteinander zu versöhnen. Er ist grandios gescheitert. Nun beklagt er die Laxheit der Waffengesetze. Die Debatte wird versanden, wie es nach jeder Bluttat der Fall ist. Die Waffe in der Hand ist letztlich ein Symptom für eine Entwicklung in der Gesellschaft, die nicht länger ignoriert werden darf.
Alle KandidatInnen für die Präsidentschaftswahlen 2016 müssen diese Frage nun in den Mittelpunkt stellen: Wie wollen wir als Gesellschaft miteinander leben? Die USA sind unfassbar gut darin, sich paranoid gegen Bedrohungen von außen zu wehren. Dafür marschieren sie in Länder ein und führen Drohnenkriege. Aber sich dem Problem zu stellen, warum sich Bürger gegenseitig erschießen und immer mehr in Angst leben – vor jedem und allem, was nicht so ist oder scheint wie sie selbst –, dazu ist das Land nicht fähig. Opfer der Angehörigen von Charleston haben dem mutmaßlichen Täter öffentlich vergeben. Eine beispiellose Geste, ein Dialog, wo kein Dialog möglich scheint. Daran müssen sich Republikaner und Demokraten ein Beispiel nehmen und messen lassen. Es ist die größte Herausforderung für die USA.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen