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Räuchertofu statt Mortadella

ERNÄHRUNG Immer mehr Menschen in Deutschland leben vegan. Doch sobald Kinder im Spiel sind, ist die Unsicherheit noch groß. Den Ärzten fehlen wissenschaftliche Grundlagen, um Risiken abzuschätzen. Sie raten auf jeden Fall zu engmaschigen Kontrollen

VON BETTINA LEVECKE

Vollkorntoast mit Cashewmus, klein geschnittene Avocado und Räuchertofu, dazu ein selbst gemachter Pancake mit Agavendicksaft und Sojajoghurt: Wenn Michaela Stoll aus Hamburg für ihren zweijährigen Sohn Jonas* Frühstück macht, kommen viele verschiedene Zutaten zum Einsatz. „Wir essen nach keinem bestimmten Plan, aber wir versuchen, uns sehr abwechslungsreich zu ernähren“, sagt ihr Mann Timo.

Timo lebt seit sieben Jahren vegan, Michaela seit drei Jahren. Für beide ist klar: Sollten Kinder kommen, wird dieser Lebensstil nicht umgekrempelt. „Wir empfinden das, was Tieren angetan wird, als zutiefst ungerecht und grausam und wollen nicht mitschuldig sein, wie die Tierindustrie entscheidend zur Umweltzerstörung beiträgt“, erklärt Timo die Beweggründe.

Auch während ihrer Schwangerschaft isst Michaela rein pflanzlich, dem behandelnden Gynäkologen erzählt das Paar nichts davon. „Wir wollten keine unnötigen Diskussionen anzetteln“, sagt Timo. „Man weiß ja als Veganer, dass Ärzte nicht unbedingt gut auf das Thema zu sprechen sind.“

Das kann auch der Kinderarzt Torsten Spranger aus Bremen bestätigen: „Das Thema Veganismus wird von vielen Ärzten sehr skeptisch betrachtet, gerade im Hinblick auf Schwangerschaft und Kindheit.“ Spranger, der auch als Pressesprecher im Bremer Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte tätig ist, hat sich in den letzten Monaten intensiv mit der veganen Ernährung auseinandergesetzt. „Ich weiß, dass das für immer mehr Menschen ein Thema ist und wir Ärzte darauf reagieren müssen.“ Doch bisher fehlen eindeutige medizinische Richtlinien. Während es für jede Altersklasse von Mischköstlern klare Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung gäbe, könnten Ärzte bei Veganern noch nicht darauf zurückgreifen: „Aber wir sollten wissen, was vegane Kinder konkret brauchen, wenn immer mehr Eltern sich für diesen Ernährungsweg entscheiden.“

Nach Schätzungen des Vegetarierbundes Deutschland gibt es derzeit rund 900.000 Veganer in Deutschland. Tendenz steigend.

Viele davon haben Kinder. Wie auch Jumana Mattukat aus Bremen. Als sie sich nach intensiven Recherchen über Massentierhaltung und Milch- und Fleischproduktion dazu entscheidet, vegan zu leben, sind ihre Kinder bereits im Kindergarten- und Schulalter. „Da habe ich mich natürlich gefragt: Kann ich vegan leben und meine Kinder trotzdem gesund ernähren?“ Auf die innere Umstellung folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten. Welche Lebensmittel liefern welche Nährstoffe? Wie bereitet man die Mahlzeiten so zu, dass sie auch den Kindern schmecken? Was ist mit kritischen Nährstoffen wie Eisen und Vitamin B 12? Jumana Mattukat schreibt ein Buch über den Familienweg („Mami, ist das vegan?“, J. Kamphausen Verlag) und wird nach und nach zum Ernährungsprofi: „Heute weiß ich, wo was drinsteckt.“

Kinderarzt Spranger betont, wie wichtig es sei, auf die richtige Zusammenstellung der Lebensmittel zu achten: „Kinder sind einfach keine kleinen Erwachsenen.“ Gerade in den ersten Lebensjahren sei das Wachstum rasant. Gehirn und Knochen entwickeln sich in einem hohen Tempo: „Dafür braucht es auch eine große Menge Energie und passender Nährstoffe.“

Von besonders zentraler Bedeutung sei Vitamin B 12, das nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt. Veganer müssen es als Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Das Vitamin, auch Cobalamin genannt, ist wichtig für die Bildung roter Blutkörperchen und maßgeblich für den Ausbau eines gesunden Nervensystems. „Ohne B 12 drohen irreparable neurologische Schäden“, warnt der Kinderarzt. „Der Bedarf muss bei Kindern unbedingt gedeckt sein, auch in Schwangerschaft und Stillzeit.“

Bei den Stolls ist die Einnahme von Vitamin-B 12-Lutschtabletten Routine. Auch Jonas lutscht regelmäßig eine halbe, seitdem er nicht mehr voll gestillt wird. Kalzium bezieht die Familie aus dunkelgrünen Gemüsesorten, Nussmusen, Trockenfrüchten oder angereicherter Soja- oder Hafermilch. Für Eisen und Zink sorgen unter anderem Hülsenfrüchte, Hirse, Haferflocken, Buchweizen und Sonnenblumenkerne. Omega-3-Fettsäuren, die der Körper für einen gesunden Hirnstoffwechsel braucht, stecken in Walnüssen, Leinsamen und Pflanzenölen, wie Hanföl. Eiweiß liefern Tofu, Linsen oder Vollkornprodukte.

„Natürlich kann der Mensch die meisten Vitamine und Mineralien auch aus Pflanzenkost beziehen“, sagt Spranger, schränkt aber ein: „Die Frage ist nur: Essen Kinder davon auch genug? Und: Mögen die das alles auch?“ Zudem: Manche Nährstoffe, wie etwa Kalzium, seien aus Pflanzen einfach schlechter verwertbar als aus tierischen Produkten. „Dann muss man schon eine ganze Menge essen, um den erforderlichen Bedarf zu decken.“ Oder Tricks kennen: Die Verwertung von pflanzlichem Eisen wird zum Beispiel verbessert, wenn gleichzeitig Vitamin C aufgenommen wird, etwa durch Orangensaft oder Erdbeeren.

„Viele Veganer setzen sich intensiv mit ihrer Ernährung auseinander“, sagt Antje Gahl, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. in Bonn. Sie räumt ein, dass eine vegane Ernährung für Kinder bei einem bunten und vielseitigen Speiseplan möglich sei. Eine Empfehlung kann sie aufgrund der erforderlichen Nahrungsergänzung mit Vitamin B 12 nicht aussprechen. Ganz im Gegensatz zum amerikanischen Pendant, der American Dietetic Association, die die vegane Ernährung für Erwachsene und Kinder in jedem Lebensalter empfiehlt, sie sogar als „Vorteil bei der Vorbeugung und Behandlung bestimmter Krankheiten sieht“. Gahl weiß um diese Differenz und erklärt: „In den USA erfolgt die Bewertung auf der Basis, dass eine ergänzende Einnahme von Supplementen und angereicherten Lebensmitteln zur Nährstoffbedarfsdeckung erfolgt.“

Für Familie Stoll, die im Winter zusätzlich Vitamin D einnimmt, ist die Nahrungsergänzung kein Negativ-Argument. „Auch viele Mischköstler ergänzen schließlich Vitamine, wenn es erforderlich ist.“

Das bestätigt auch Spranger, sieht für vegane Familien aber dennoch einen gesonderten Bedarf an ärztlicher Begleitung. „Ich kann nur raten, gegenüber dem Kinderarzt offen über die vegane Ernährung zu sprechen – nur so können frühzeitig Mangelerscheinungen erkannt und behandelt werden.“

Pflicht seien zum Einen die U-Untersuchungen, um die Entwicklung des Kindes zu beobachten. „Da sieht man zum Beispiel sehr genau, ob es sich in Größe und Gewicht altersentsprechend entwickelt.“ Dazu empfiehlt der Kinderarzt regelmäßige Blut- und Urinkontrollen.

Jonas wurde schon zweimal gepikst. „Das fand er natürlich gar nicht witzig“, sagt Timo Stoll. „Aber Sicherheit geht vor!“ Die Ergebnisse gaben noch keinen Anlass zur Sorge: „Im Gegenteil, Jonas entwickelt sich wirklich prächtig“, sagt der Vater. Auch die behandelnde Kinderärztin sei mittlerweile wesentlich entspannter. „Sie hatte ja am Anfang auch noch keine Erfahrung mit veganen Patienten.“ Für Nachschub haben die Stolls inzwischen selbst gesorgt: Ende Mai ist Jonas’ kleiner Bruder geboren. Natürlich auch wieder ein kleiner Veganer.

* Name auf Wunsch der Eltern geändert

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