: „Wir haben die Berliner überfordert“
SENAT Michael Müller gesteht Fehler beim Volksentscheid Tempelhof ein. Mit dem neuen Mietenvolksbegehren will er nun „vernünftig“ umgehen. Gleichzeitig warnt der Regierende die Wähler: Es sei nicht immer klug, dem zu folgen, der die lauteste Stimme hat
■ 50, ist seit Dezember Regierender Bürgermeister und damit Nachfolger von Klaus Wowereit. Zuvor war er Stadtentwicklungssenator und als solcher für die Bauplanungen auf dem Tempelhofer Feld verantwortlich, die die Berliner in einem Volksentscheid am 25. Mai 2014 kippten. Müller, der lange mit seinem Vater eine kleine Druckerei in Tempelhof betrieb, führt die Berliner SPD von 2004 bis 2012. Danach wurde er vom jetztige Parteichef Jan Stöß in einer Kampfabstimmung abgelöst. (taz)
INTERVIEW UWE RADA UND BERT SCHULZ
taz: Herr Müller, vor einem Jahr haben Sie beim Volksentscheid über die Bebauung des Tempelhofer Feldes eine herbe Niederlage erlitten. Ein Jahr später sind Sie Regierender Bürgermeister und Berlins beliebtester Politiker – ein kleines Wunder.
Michael Müller: Ob das ein Wunder ist, weiß ich nicht. Aber es ist eine Entwicklung, die mich natürlich freut, für die ich aber auch hart gearbeitet habe.
Hätten Sie am Abend des 25. Mai vergangenen Jahres, als das Ergebnis des Entscheids bekannt wurde, an diese Entwicklung geglaubt?
In der Politik – das ist ja das Spannende und Schöne – kann man weder die eine noch die andere Richtung durchplanen. Aber dafür arbeiten heißt: Ich hab nach dem 25. Mai weitergemacht. Weiter in der SPD, weiter in meinem Ressort. Das ist dann beim SPD-Mitgliederentscheid im Oktober auch honoriert worden.
Haben Sie denn an diesem Abend des 25. Mai einen Moment lang daran gedacht, alles hinzuschmeißen?
Alles hinschmeißen hört sich natürlich dramatisch an. Aber man fragt sich natürlich, mit welchen Themen und Schwerpunkten kann man weiterarbeiten, wenn so ein zentrales Thema wie der Wohnungsbau auf dem Tempelhofer Feld keine Unterstützung bekommt. Hat man auf die falschen Themen gesetzt? Muss man nun etwas ganz neu ausrichten?
Und Sie haben alles für sich mit Nein beantwortet?
Mit solchen Fragen muss man sich in der Politik permanent auseinandersetzen. Letzten Endes bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir schon viel erreicht haben beim Wohnungsbau; dass Tempelhof natürlich schmerzlich ist, dass der Weg aber grundsätzlich stimmt.
Sie haben dann überrascht, indem Sie dem BUND-Chef Tilmann Heuser die Bürgerbeteiligung auf dem Feld anvertraut haben. Ist das ein Hinweis darauf, dass Sie im Umgang mit solchen Niederlagen sehr flexibel sind und die Flucht nach vorne antreten?
Man muss ja daraus lernen, sonst macht das keinen Sinn. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass wir mit drei Baufeldern und der Bibliothek vielleicht zu viel wollten. Dass wir viele Berlinerinnen und Berliner überfordert haben. Dass wir unser Sozialwohnungskonzept nicht gut genug erklärt haben. Und dass diese große freie Fläche die Leute einfach emotional sehr bewegt. Vor diesem Hintergrund sind wir dann zu dem Ergebnis gekommen, dass die weitere Entwicklung der Freifläche jemand begleiten soll, der sehr glaubwürdig ist und nicht im Verdacht steht, ausschließlich Verwaltungshandeln durchsetzen zu wollen.
Wäre Klaus Wowereit ähnlich pragmatisch gewesen?
Das kann ich nicht sagen. Jeder Politiker reagiert auf positive wie negative Voten anders. Für mich war sehr schnell klar: Wenn wir am Tempelhofer Feld ein gutes Miteinander für die nächsten Jahre organisieren wollen, dann müssen wir es anders machen als bisher.
Wenn Sie sagen, Sie haben bei Tempelhof den Berlinern zu viel zugemutet, heißt das, dass Sie im Umkehrschluss zumindest noch über eine kleine Bebauungslösung nachdenken?
Ich vermute, in einigen Jahren wird die Frage, ob eine Randbebauung nicht doch eine Möglichkeit ist, wieder eine Rolle spielen. Nicht in dieser, nicht in der nächsten Legislaturperiode und wohl nicht mehr in der Dimension, die wir 2014 geplant hatten. Dafür war das Votum zu eindeutig.
Tilmann Heuser hat prophezeit, dass jeder, der auf dem Feld das Thema Wohnen wieder aufruft, sich die Finger verbrennen wird.
Wenn man die alten Pläne wieder verfolgen würde, wäre die Empörung zu Recht groß. Wenn sich aber die Stadt weiterentwickelt, wird man solche Fragen diskutieren können und müssen. Keiner von uns weiß, wie die Stadt in 10 oder 20 Jahren aussieht, auch Herr Heuser nicht. Ich gehe davon aus, dass solche großen Flächen am Rande des freien Feldes auch in Zukunft eine Rolle spielen werden.
Es gibt in Berlin eine kritische Masse an Menschen, die direkte Demokratie als Mittel sieht, dem Senat die Rote Karte zu zeigen. Glauben Sie, dass Sie solche Menschen mit Ihren Argumenten noch überzeugen können?
Es gibt bei einigen ein Missverständnis, wenn sie glauben, dass sie mit den Mitteln der direkten Demokratie die parlamentarische Demokratie aushebeln können. Es ist aber schwer, diese Gruppe davon zu überzeugen, dass wir für das Gleichgewicht in unserer Stadt parlamentarische Demokratie brauchen, die ja per se immer den Kompromiss und den gesamtgesellschaftlichen Ausgleich sucht. Ich setze darauf, dass sehr viele Bürger auch nach Volksentscheiden erkennen, dass es nicht immer klug ist, dem zu folgen, der die lauteste Stimme hat. Oder dem, der am besten vernetzt ist oder der am schnellsten für eine Kampagne Geld aktivieren kann.
Nun hat am Sonntag die SPD bei der Landtagswahl in Bremen deutlich verloren, auch vor dem Hintergrund, dass die soziale Schere dort immer weiter auseinandergeht. Ähnliches kann man in Berlin beobachten. Wie wichtig wird das Thema Mieten und Wohnen für Sie als Regierenden Bürgermeister sein?
Da muss ich Ihnen widersprechen. Anders als in Bremen haben wir in Berlin deutlich mehr wirtschaftliche Perspektiven, deutlich mehr Aufbruchssignale. Junge Leute ziehen hierher, beleben die Wissenschaftslandschaft, und es gibt viele Investoren, die Arbeitslosigkeit konnte halbiert werden. Der Ausgangspunkt ist also ein anderer als in Bremen. Dennoch spielt in einer Mieterstadt wie Berlin das Thema Wohnen eine große Rolle. Aber die Menschen erkennen auch, dass die Instrumente für die Preisdämpfung auf dem Wohnungsmarkt, die wir haben, auch zur Anwendung kommen.
Warum hat der Senat dann so viel Respekt vor dem Ende April gestarteten Mietenvolksbegehren?
Haben wir so viel Respekt?
Vor wenigen Tagen hat SPD-Bausenator Andreas Geisel ein Paper vorgelegt, in dem er den Initiatoren des Begehrens sehr entgegenkommt. Das ist ja schon ein Hinweis darauf, dass man sich da nicht sicher ist.
Aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass man mit einem Volksbegehren vernünftig umgeht. Und wir machen das sehr unaufgeregt. Wir sagen ja, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und in vielen Punkten bereits in die gleiche Richtung gehen. Aber lasst uns jetzt darüber reden, was finanzierbar ist. Ein Volksbegehren kann im Grundsatz ein richtiges Anliegen haben, im Detail aber trotzdem nicht finanzierbar sein oder rechtliche Fallstricke haben.
Deckelung der Sozialmieten, fast eine Verdreifachung des Neubaufonds: Geisels Vorschläge kosten auch Geld. Die CDU ist nicht amüsiert. Welche Weichen werden Sie als Regierender Bürgermeister stellen?
Auch ohne Volksbegehren würden wir bei den Haushaltsberatungen mehr Mittel vom Parlament fordern, zum Beispiel für den Neubaufonds oder die Sozialwohnungen. Aber richtig ist eben: Alles, was das Volksbegehren will, werden wir nicht finanzieren können. Und manches, wie etwa die Rückkehr in die alte Anschlussförderung, ist auch inhaltlich alles andere als sinnvoll.
Wechseln wir doch mal die Baustelle: Weg von der Wohnung, hin zum Stadtschloss, sprich Humboldt-Forum. Was hat Rom, was Berlin nicht hat?
Sie spielen auf das „Rom der Zeitgeschichte“ an …
Das ist der Titel der Berliner Geschichtsschau, die Sie als Kultursenator im Humboldt-Forum unterbringen wollen.
Nein, nein, der Arbeitstitel der künftigen Berlin-Ausstellung ist Welt.Stadt.Berlin. Berlin hat viele der Entwicklungen, die sich in Deutschland, Europa, aber auch weltweit in den letzten Jahrhunderten gezeigt haben, selbst durchlebt, teils vorweggenommen, auf sich konzentriert. Denken Sie an Migrationsbewegungen oder Industrialisierung und De-Industrialisierung. Berlin war und ist ein Labor für Vieles.
Die Ankündigung, dass auch Berlin mit seiner Geschichte seinen Platz im Humboldt-Forum haben soll, war ja Ihr erster Coup, nicht nur als Kultursenator, sondern auch als Regierender Bürgermeister. Warum?
Das Humboldt-Forum ist das große städtebauliche und kulturelle Projekt des Bundes und Berlins der nächsten 20 und 30 Jahre. Es verändert unsere Stadt, allein schon baulich. Wir haben eine Kooperation zwischen Bund und Land und der Wissenschaft, der Humboldt-Universität und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das ist so aufsehenerregend, da darf Berlin nicht nur Zuschauer sein.
Nun hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters den neuen Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, Neil MacGregor, vorgestellt. Sie waren auch dabei. Welche Sympathien hat denn Herr MacGregor gegenüber Ihrem Vorhaben?
Alle freuen sich, dass wir unser Konzept geöffnet haben.
Wann wird man detailliert erfahren, wie die Berliner Ausstellung aussehen wird?
Seit einer Woche ist ja erst klar, wer Intendant wird. Wir wollen uns natürlich auch miteinander abstimmen. Wir entwickeln dafür unser Konzept weiter und suchen dafür ebenfalls gerade eine Kuratorin oder einen Kurator.
Was ist Ihre persönliche Vorstellung? Zur 775-Jahr-Feier wurde der Beitrag der Zuwanderer in den Mittelpunkt gestellt.
Das macht Berlin aus. Das wird sich auch widerspiegeln.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Kontrahenten manchmal in den kulturpolitischen Debatten versuchen, den Neuling Müller auszutesten?
Klar, dass Leute schauen, wie weit sie gehen können, das haben Sie ja in allen Bereichen. Aber letztlich wissen auch alle Beteiligten, wo die Entscheidungen getroffen werden. Das sind bei kulturpolitischen und finanziellen Entscheidungen die Senatskanzlei und der Regierende Bürgermeister als Kultursenator.
MICHAEL MÜLLER ÜBER OPTIONEN NACH DER WAHL IM HERBST 2016
Wie weit können die Leute denn bei Ihnen gehen?
Wir hatten ja gerade eine Intendantenfrage, die wir klar entschieden haben.
Sie meinen Chris Dercon als neuen Intendanten der Volksbühne.
Was wurde da diskutiert und wild spekuliert, mit Unterstellungen gearbeitet. Und nach der Vorstellung von Herrn Dercon ist alles ruhig. Auch das ist Berlin.
Im Herbst 2016 sind Abeordnetenhauswahlen. Die CDU versucht, sich mit Law-and-Order-Themen zu profilieren …
Ach ja?
Würden Sie sich freuen, wenn die Koalition mit der CDU über 2016 hinaus fortgesetzt wird?
Wir arbeiten dafür, dass wir stärkste Kraft in der Stadt bleiben. Wenn wir dann mehrere Optionen haben, ist das eine gute Ausgangsbasis für Verhandlungen.
Gehört auch Rot-Rot-Grün zu diesen Optionen?
Rot-Rot-Grün ist schwierig, weil es ein Dreierbündnis ist. Das ist per se eine instabile Angelegenheit. Aber natürlich ist auch das eine Möglichkeit.
Sie werden es im Wahlkampf bei der CDU mit Herrn Henkel zu tun haben. Wen werden die Grünen nach vorne stellen?
Ramona Pop.
Das wissen ja selbst die Grünen noch nicht, ob sie alleine mit ihrer Fraktionsvorsitzenden oder einem Team als Spitzenkandidaten ins Rennen gehen.
Ich gehe davon aus, dass es Frau Pop sein wird. Aber wie ich die Grünen kenne, wird es dahinter ein großes beratungsfähiges, unterstützendes Team geben, das ein ganz breites Spektrum abbildet. Und dann wird das Entscheidende sein, welche Inhalte Frau Pop vertritt. Da kenne ich bislang relativ wenig.
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