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Teewurst und Mozartkugeln fehlen ihm

HAUSBESUCH Er ist der am längsten in China lebende Deutsche. Doch Heidelberg lässt Uwe Kräuter nicht los

VON LENA MÜSSIGMANN (TEXT) UND BERND HARTUNG (FOTOS)

Die Bergstraße in Heidelberg. Zu Besuch bei Uwe Kräuter (69).

Draußen: Ein ockergelbes Doppelhaus, mandelförmige Fenster, die wie Augen im Ziegeldach stehen.

Drin: Über helle Holzstufen geht es ins Obergeschoss. Die Wohnung gehört einer Bekannten. Kräuter hat zwei Zimmer gemietet. Mehr lohnt sich nicht, nur dreimal im Jahr kommt er nach Deutschland („Früher war es sechsmal“). Im Flur stehen Narzissen, die Blumenkästen vor dem Küchenfenster sind bepflanzt. Sein Wohnzimmer ist hell, fast leer: ein beigefarbener Teppich, ein weißes Sofa, blanke Wände. Auf dem Schreibtisch liegen Laptop, Kalender, iPhone. Nur das Bücherregal erzählt etwas über Kräuter, den jungen Uwe Kräuter. Er bewahrt hier Bücher aus der Studentenzeit auf, „einer revolutionären Zeit“. Eine Lenin-Biografie, die Mao-Bibel. „Worte des Vorsitzenden“, sagt Kräuter. Er nennt Mao „den Vorsitzenden“. „Das ist normal, wenn man in China lebt“, sagt er. In die Kommunistische Partei sei er nie eingetreten, trotz seiner Sympathie für sie. „Ich weiß gar nicht, ob das als Ausländer ginge.“

Was macht er? Kräuter gilt als der Deutsche, der am längsten in China lebt. Er arbeitet als Filmproduzent, Kulturvermittler und Autor in Peking. In seinem Buch „So ist die Revolution, mein Freund: Wie ich vom deutschen Maoisten zum Liebling der Chinesen wurde“ erzählt er von seinen 40 Jahren in China.

Wer ist er? Kräuter ist in Hitzacker an der Elbe geboren, in Offenbach bei Frankfurt aufgewachsen. Er hat in Heidelberg studiert, Soziologie, Ethnologie und Psychologie. Ein politischer junger Mann war er, links, hat Mao gelesen, Marx, Che Guevara, Ho Chi Minh. Sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund engagiert. „Wir Rebellen waren damals ja so wichtig.“ 1970 soll er bei einer Demo zwei Polizisten verprügelt haben. Wie alle aus der ersten Reihe der Demo wurde er später angeklagt und zu einer Haftstrafe verurteilt. Die angeblich verprügelten Polizisten seien aber nie als Zeugen aufgetreten. Otto Schily schreibt im Vorwort zu Kräuters Buch von einer „höchst fragwürdigen Begründung“ des Urteils.

Kräuter dementiert, dass er nach China gegangen sei, um seiner Strafe zu entgehen – wie vielfach behauptet wurde. „Gefängnis ist interessant für die Selbsterkenntnis. Aber China war interessanter.“ Kräuter hat ein Jobangebot bekommen, im Verlag für fremdsprachige Literatur in Peking, 1974 war das. „Politisch war das für mich attraktiv.“ Das gelobte Land für junge Maoisten. „Ich hatte einen Koffer dabei, weil ich dachte, ich gehe für zwei Jahre.“ Jetzt ist ein ganzes Leben daraus geworden. Kräuter hat in China gegen enorme Widerstände seine große Liebe, die Schauspielerin Danping Shen, geheiratet, mit ihr zwei Töchter bekommen. Kräuter hatte sich als der Mann, der die Fernsehserie „Derrick“ 1979 nach China brachte, schon einen Namen gemacht. Durch seine Frau ist er vollends zu einem Promi in China aufgestiegen, der in Talkshows auftritt und über den in Zeitungen berichtet wird. Wenn er aber nach Deutschland kommt, ist Heidelberg wieder sein Zentrum. „Das kleine Heidelberg: Hier habe ich ein Netz.“

Was bewegt ihn? Kräuter spricht oft über die Unterschiede zwischen Peking und Heidelberg, China und Deutschland. „Heidelberg ist unwandelbar. Wer aber drei Monate nicht in einem bestimmten Pekinger Stadtteil war, dem kann es passieren, dass er die Gegend nicht wiedererkennt.“ Kräuter vergleicht: „Für Chinesen ist Deutschland wie menschenleer.“ Ihn stören in Deutschland: das harte Selbstbewusstsein, Freudlosigkeit und Abwesenheit lockerer Naivität. „Die Leute leben hier im sichersten Land der Welt. Vielleicht ist das das Problem.“ Trotzdem braucht Kräuter ab und zu ein bisschen Deutschland. Um sich wieder einen Teewurstvorrat zuzulegen. Und Mozartkugeln. Um seine Freunde zu sehen. „Augen, Gesichter, Unterhaltung, Sprache. Ich muss sehen, wie meine Freunde sich entwickeln.“ Kräuter macht bei seinen Besuchen gezielt Leute ausfindig, die ihn interessieren. „Ich kann mich nicht nur an Chinesen reiben oder an Ausländern in China.“ Seine neueste Idee: ein Politikerdialog. „Deutsche und chinesische Politiker sprechen vor der Kamera: Welche Fragen habe ich an dein Land? Welche Probleme habe ich mit deinem Land?“ China sei reif dafür, sich in die internationale Welt einzuklinken. Kräuter will deshalb auch „Weltpersönlichkeiten“ wie Bill Clinton, Angelina Jolie, Karl Lagerfeld zu Veranstaltungen nach China holen. Kräuters Ideen- und Gedankenwelt scheint so riesig wie die Volksrepublik.

Die letzte Demo? Heidelberg, Frühjahr 1974. „Ich kann nicht mehr sagen, wogegen oder wofür.“ Sein Denkmuster von links und rechts in der alten Strenge habe er abgelegt.

Alter? Manchmal wird Kräuter gefragt, ober er zum Lebensabend nicht zurückkommen wolle. Kräuter sagt: „Lebensabend? Kein schönes Wort.“ Die Rückkehr ist keine Option für ihn. Seine Frau ist 15 Jahre jünger als er. „Ich gehe gerne in die Disco, brauche Rhythmus, junge Menschen, auch mal einen Schluck zu trinken.“ In China würden Ausländer, „die im Gespräch nicht auf den Kopf gefallen sind, geschätzt, egal wie alt sie sind“. Er lächelt. „In China spüre ich mein Alter nicht.“

Alltag? Kräuters Alltag ist unregelmäßig. Eine Konstante: Er macht Frühstück für seine Familie („Europäisch, darauf lege ich Wert“). Und er geht regelmäßig spazieren und macht Liegestütze, um sich fit zu halten. Ansonsten: „Treffen mit Freunden und Kollegen, Interviews geben, in Talkshows im Fernsehen auftreten.“

Wie finden Sie Merkel? „Es ist schön, wie sie gelernt hat, mit den Chinesen umzugehen“, sagt Kräuter. Und: „Obwohl politisch international alles so kompliziert ist, hat sie Gelassenheit. Das ist Qualität.“

Wann sind Sie glücklich? „Wenn ich bei jemandem Fähigkeiten entdecke, die ich suche und selten finde.“ Bei seinem jüngsten Deutschlandbesuch war er zu einem Essen eingeladen. Kräuter hat dort einen alten Freund getroffen. „Der sah super aus. Und wie gut er mit der Runde umgegangen ist! Wie er in Schweigesekunden ausgeholfen hat!“ Kräuter ist begeistert. „Diese Verantwortlichkeit ist eine Art von Freude am Leben und eine Energie, die ich schätze.“

Sie möchten auch einmal besucht werden? Schreiben Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

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