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Königssitz mitten auf dem Reisfeld

MYANMAR Die neue Hauptstadt Naypyidaw hat Touristen wenig zu bieten. Sie ist ein pompöses Machtzentrum und Verwaltungszentrale. Freiwillig lebt hier kaum jemand. Doch das soll sich ändern

Reisetipps

■ Beste Reisezeit für Myanmar ist von November bis Februar. Die Durchschnittstemperaturen liegen dann bei 20 bis 30 °C

■ Allgemeine Infos: www.myanmartourism.org

■ Lokale Anbieter: www.expeditionsmyanmartravel.com, www.orchestra-myanmar.com

■ Buchtipp: „Myanmar (Burma)“, Loose-Verlag, Taschenbuch

VON UTE MÜLLER

Die Fahrt auf der leeren, zwanzigspurigen Autobahn zum Parlament von Naypyidaw, Myanmars neuer Hauptstadt, endet abrupt. Eine Schranke, ein Militärposten und die freundliche Bitte, man möge bitte umkehren. „Im Hluttaw, im Parlamentsgebäude wird gerade getagt, vorbeifahren ist nicht gestattet“, erklärt der Fahrer. Wir steigen aus und machen zumindest aus der Ferne Fotos von dem riesigen Komplex, der aus 31 Gebäuden besteht.

Nur die vielen pagodenartigen Dachtürme erinnern an die typische Architektur des Landes, das früher Birma hieß. So riesig und überdimensioniert wie das Abgeordnetenhaus, Symbol für Myanmars Übergang zur Demokratie nach fast 50 Jahren Militärregime, ist alles in dieser auf dem Reißbrett entworfenen Stadt: die beiden glitzernden Messezentren, die fast schon stalinistisch anmutende Stadthalle, die zahlreichen Hotels, die sich nicht füllen lassen, obwohl auch klangvolle Namen wie Hilton oder Kempinski nicht fehlen.

Sie sind sauber in einer Linie aufgereiht, das Gleiche gilt für die Ministerien, die in einem eigens für sie konzipierten Areal liegen. Alle Straßen hier erinnern an Landepisten für Flugzeuge, unterbrochen nur von mit Lotosblumenskulpturen geschmückten Verkehrsinseln, um die sich so gut wie nie Verkehr bewegt. Ist das Größenwahn oder neu gefundenes Selbstbewusstsein der größten Nation Südostasiens, die nach jahrzehntelanger Isolation ihre Rolle als Schnittstelle zwischen den Supermächten Indien und China sucht?

Aus seinem Schattendasein heraus trat Naypyidaw erstmals 2013 als Austragungsort der Südostasienspiele, sogar US-Präsident Barack Obama reiste letzten November zum Gipfeltreffen der südostasiatischen Staaten (Asean) in die „seltsame Geisterstadt“ (Washington Post) und traf Staatspräsidenten Thein Sein. „Als Obama da war, wurden die Lotosblumen nachts von innen beleuchtet“, sagt der Taxifahrer. Der Mann ist sichtlich bemüht, uns von den Qualitäten der neuen Planstadt zu überzeugen.

„Hier ist alles übersichtlich, ordentlich und sauber, und vor allem haben wir hier keine Staus wie in Rangun.“ Auch ansonsten könnte der Gegensatz zwischen beiden Städten größer nicht sein. Rangun, 320 Kilometer weiter südlich gelegen, eng, laut, übervölkert, war bis 2005 die Hauptstadt des einstigen britischen Kolonialreichs.

Das neue Machtzentrum Naypyidaw im Herzen des Landes ist trotz aller Anstrengungen bis heute noch steril und ohne Leben. Auch Kasinos oder sonstige Vergnügungsstätten sucht man hier vergebens, es sind auch keine geplant. Das einzige Kino fristet ein Schattendasein in einem Einkaufszentrum.

So wird offensichtlich, dass die Militärs, die auch nach dem Übergang zur Demokratie 25 Prozent der Parlamentssitze einnehmen, weiterhin alles unter Kontrolle haben wollen. Davon zeugen auch die Wachhäuschen, die in regelmäßigen Abständen die Prachtstraßen säumen.

Niemandem würde einfallen, hier zu Fuß zu gehen, zu groß sind die Distanzen. Und so sind die emsig fegenden Straßenkehrerinnen mit ihren Strohhüten die einzigen Menschen, die man sieht. Das ist schwer zu glauben, denn schon knapp eine Million Birmanen sollen hier auf einer Fläche leben, die siebenmal so groß wie Singapur ist und zehnmal so groß wie Berlin.

Viele der Bewohner sind nicht freiwillig gekommen, sondern wurden 2006 zur Umsiedlung in die neue Verwaltungsmetropole gezwungen. Nun wohnen sie in Blocks, die in verschiedenen Farben gestrichen sind, je nachdem zu welchem Ministerium sie gehören. Autos brauchen sie angeblich keine, sie werden mit einem Shuttle-Service zur Arbeit gebracht.

Naypyidaw bedeutet übersetzt „Sitz der Könige“, wobei an dieser Stadt allenfalls die riesigen Parkanlagen – es gibt sogar einen Kräuterpark – einen royalen Touch haben und vielleicht noch der weltgrößte Rubin und der „Starsaphir“, die im Edelsteinmuseum zu bewundern sind. Der Name der neuen Hauptstadt stand auch noch gar nicht fest, als sie ab Ende der 90er Jahre mitten auf Reisfeldern entstand.

Wo Rangun mit Geschichte aufwartet, von der die zahlreichen Gebäude aus der Kolonialzeit zeugen, kontert Naypyidaw mit Protz, Beton und Glas. Selbst seine wichtigste Sehenswürdigkeit, die goldene Uppatasanti-Pagode, ist nur ein Klon der majestätischen Shwegadon-Pagode in der einstigen Hauptstadt. Anders als das 2.500 Jahre ältere und etwas größere Original ist sie zwar begehbar, doch es fehlt die großzügige Tempelanlage um die Pagode herum, es fehlen die Schreine, gar nicht zu reden von den vielen betenden Mönchen.

An diesem Vormittag findet sich auch nur eine Handvoll Touristen hier ein, andere Europäer sind nicht darunter. Sogar einen topmodernen Aufzug gibt es. Als wir versuchen, die Treppe zur Kuppel ohne den traditionellen Wickelrock, den Longyi, zu ersteigen, werden wir vom Wachpersonal zurückgepfiffen. Mit flinken Fingern werden unsere ohnehin knöchellangen Hosen mit einem zusätzlichen Stoff umhüllt.

Im Inneren der Kuppel thronen vier Jade-Buddhas, ansonsten erinnert die Architektonik eher an eine Moschee. Kein Andrang auch am Gehege der fünf rosafarbenen Elefanten am Fuße der Pagode. Der damalige Diktator Than Shwe ließ sie vor zehn Jahren im westbirmanischen Urwald einfangen und hierherbringen. Angeblich kommen die edlen Dickhäuter, die früher nur für die Könige bestimmt waren, heutzutage noch bei Militärparaden zum Einsatz.

„Sie sind das Symbol für Glück“, sagt May Myat, eine junge Frau, die nur wenige Meter vom Gehege entfernt Obst und Thanaka verkauft und so eine Spur von Myanmarflair in der surrealen Umgebung versprüht. Wie fast alle Frauen hierzulande hat auch sie die ockerfarbene Paste auf Wangen, Stirn und Nase aufgetragen.

Thanaka besteht aus gemahlenem Sandelholz und der Rinde des Thanakabaums, die mit Wasser gemischt wird und vor den intensiven Sonnenstrahlen schützen soll. Sie verkauft uns ein Päckchen für 300 Kyat, das sind etwa 30 Cent.

Wer Menschen wie May treffen will, muss in die kleinen Siedlungen rechts und links der Prachtalleen gehen, wo die Menschen in einfachen Hütten leben und ihre Felder noch mit Wasserbüffeln pflügen. Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass Touristen die neue Metropole noch großzügig umfahren; in den meisten Reiseführern ist ihr, wenn überhaupt, nur eine Seite gewidmet.

Das verstört die neuen Machthaber nicht. „Wir wollen hier vor allem den Kongresstourismus fördern, dafür haben wir die Hotelkapazitäten wie überall im Land auch in Naypyidaw konsequent ausgebaut“, so Tourismusminister U Htay Aung beim jährlich stattfindenden Asean Tourism Forum (ATF), das erstmals seit seinem Bestehen in Myanmar abgehalten wurde.

Naypyidaw wurde bewusst im Zentrum des Landes errichtet. Es liegt immer noch vier volle Autostunden von den beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten, Bagan und Mandalay, entfernt.

Kein Problem für den Minister. „So können Kongressteilnehmer einen Tagesausflug unternehmen.“

Im Inneren der Kuppel thronen vier Jade-Buddhas, ansonsten erinnert die Architektonik eher an eine Moschee

Dass außerdem nur zwei internationale Airlines – aber keine europäische – seine Stadt anfliegen, macht dem Politiker ebenfalls keine Sorgen, denn der Tourismus hat sich in seinem Land prächtig entwickelt, seit ein von der norwegischen Regierung und der Asiatischen Entwicklungsbank (ASB) finanzierter Masterplan schrittweise in die Tat umgesetzt wurde. Im letzten Jahr kamen bereits 3 Millionen Besucher nach Myanmar, 51 Prozent mehr als im Vorjahr. 2015 dürfte diese Zahl auf 4,5 Millionen steigen. Internationale Beobachter halten dies durchaus für machbar.

„Es ist kaum zu glauben, wie sich dieses Land entwickelt hat“, so Mara Armanini, die in Mailand eine Reiseagentur betreibt. „Als ich 1987 zum ersten Mal hierherkam, durfte man maximal sieben Tage bleiben, und wir wurden auf Schritt und Tritt überwacht. Es gab kaum etwas zu essen, wir hatten unsere eigenen Vorräte in Koffern und lebten hauptsächlich von Schüttelbrot aus meiner Heimat“, erinnert sich die 52-jährige gebürtige Südtirolerin.

Der Boom begann mit der Freilassung von Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi vor vier Jahren. Ihr Konterfei ziert alle Arten von Devotionalien, die in Myanmar erhältlich sind. Die Menschen bezeichnen die zierliche Frau, die zehn Jahre unter Hausarrest stand, respektvoll als „die Lady“. Viele bedauern, dass sie nicht zu den Wahlen im November antreten und für das Amt des Präsidenten kandidieren kann. Denn dafür müsste die Verfassung geändert werden. Noch ist die Kandidatur von Bürgern verboten, deren Mann oder Kinder keine Birmanen sind.

Dies trifft in Suu Kyis Fall zu: Die Söhne, die sie mit ihrem verstorbener Ehemann hat, sind beide Briten. „Ob sie nun kandidiert oder nicht, sie ist das Symbol für den demokratischen Aufbruch unseres Landes“, sagt Dr. Aung Myat Kyaw (46). Er ist Generaldirektor einer Kreuzfahrtgesellschaft, eines Luxusresorts in Ngapali Beach im Süden des Landes sowie eines Reiseunternehmens und einer der Birmesen, die von der Öffnung des Landes überdurchschnittlich profitieren.

Eigentlich wollte der als Sohn eines im Rom stationierten Diplomaten Kieferchirurg werden. Doch nach dem Militärputsch 1988 schlossen Schulen und Universitäten zeitweise. „Statt sieben Jahre brauchte ich elf Jahre für mein Studium, nämlich bis 1994“, erinnert sich Kyaw. Doch da hatte er nur seine Zahnarztausbildung beendet, es gab in der Heimat keine Möglichkeiten, sich auf Kieferchirurgie zu spezialisieren.

Seine Stunde schlug, als das sozialistische Regime kleine touristische Privatunternehmen erlaubte; das isolierte Land braucht ja dringend Devisen. „In Italien hatte ich gesehen, welche Chancen der Tourismus birgt“, erzählt Dr. Aung Myat Kyaw, der zwischen Yangon, Naypyidaw und seinem Resort am Strand hin- und herpendelt.

Würde er in Naypiydaw leben wollen? Kyaw, ganz der Sohn eines Diplomaten, legt sich lieber nicht fest und streicht seinen tadellosen weißen Rock glatt. Dann sagt er: „Haben Sie Geduld mit Naypyidaw. Die neue Zeitrechnung in Myanmar hat doch eben erst begonnen.“

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