: Kein Verbraucher muss bei Lidl kaufen
Grüne rät zu vorübergehendem Boykott der Discountkette: „Es gibt auch andere Discounter.“ Die Firma soll ihre Beschäftigten systematisch mit Detektiven und Mini-Kameras bespitzelt haben. Geschäftsführung lässt Vorwürfe untersuchen
VON HANNES KOCH
Die Verbraucher sollten vorläufig nicht mehr bei Lidl einkaufen, rät Kerstin Andreae. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen sagt: „Die Konsumenten sollten ihre Macht nutzen.“ Andreae reagiert damit auf die aktuelle Titelgeschichte des Magazins Stern. Darin heißt es, die Discount-Kette Lidl habe ihre Beschäftigten 2006 und 2007 in zahlreichen Filialen durch Detektive und Minikameras bespitzeln lassen. Die Firma will die Vorwürfe untersuchen.
„Mehrere Mitarbeiter dieser Filiale befanden sich zurzeit offensichtlich in finanziellen Schwierigkeiten. Herr D. erwartet von seiner Partnerin Nachwuchs und benötigt nach eigenen Angaben zurzeit viel Geld.“ Das sind Sätze aus einem der taz vorliegenden Überwachungsprotokoll, das die Firma HIS Sicherheitsdienst 2004 in einer Lidl-Filiale in Flensburg anfertigte. Derartige Protokolle und auch Videoaufnahmen aus den Kameras der Detektive liegen dem Stern nun in großer Zahl vor. Dies deutet auf eine systematische Überwachung der Mitarbeiter hin.
Lidl-Geschäftsführer Jürgen Kisseberth sagt, „dass offensichtlich übereifrige Detektive uns mit Informationen versorgt haben, die wir so nicht wollten“. Das Ziel sei es gewesen, Ladendiebstahl zu verhindern. Entgegen Kisseberths Behauptung, die Überwachung der Beschäftigten habe man nicht beabsichtigt, gehörte die Kontrolle des Personals den Recherchen des Stern zufolge sehr wohl zum Auftrag. Die großflächige, verdeckte Bespitzelung der Belegschaft ist rechtswidrig. Sie darf nur angewendet werden, wenn der dringende Verdacht besteht, dass Mitarbeiter sich strafbar machen.
Die Grüne Andreae bringt nun einen vier Wochen dauernden Boykott von Lidl ins Gespräch. „Die Unternehmensführung muss reagieren“, so die Grüne. SPD-Verbraucherpolitiker Manfred Zöllmer sagt: „Konsumenten sollten sich ihrer Macht bewusst sein. Es darf keinen Wettbewerbsvorteil durch Ausbeutung und Bespitzelung geben.“ Achim Neumann, zuständiger Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, ruft „nicht zum Boykott auf“. Aber jeder Konsument könne sich Gedanken machen, „ob das Unternehmen, bei dem er einkauft, eine soziale Politik betreibt. Es gibt auch andere Discounter als Lidl.“
Der Missachtung einer grundlegenden sozialen Verantwortung gehört seit langem zur Unternehmenspolitik von Lidl. So existiert in kaum einer Filiale ein Betriebsrat. Ver.di wirft dem Unternehmen vor, die Gründung von Arbeitnehmervertretungen systematisch zu behindern. Das „Schwarz-Buch Lidl“ von Andreas Hamann gibt Auskunft über die Praktiken der Firma. In jüngster Zeit versucht Lidl seinen Namen aufzupolieren, indem man die ökologische Qualität der Produkte betont. Unlängst scheiterte der Versuch, die Bio-Supermarktkette Basic zu übernehmen.
Auf der Liste der reichsten Deutschen, herausgegeben vom Manager-Magazin, steht Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz (68) mit einem geschätzten Vermögen von 10,3 Milliarden Euro auf Platz 4. Mit etwa 7.200 Filialen erreicht der Umsatz über 40 Milliarden Euro. Lidl gehört zu den größten Discountern in Europa.
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