: Blümchenshorts des Bösen
Das Modelabel Thor Steinar wird bekämpft, weil es als Kultmarke der rechten Szene gilt. Doch der Protest zeugt von magischem Denken, das die Macht der Symbole überschätzt
Burkhard Schröder ist Schriftsteller, Journalist und Autor zahlreicher Bücher über Rechtsextremismus. Darunter „Nazis sind Pop“ (Espresso Verlag) und „Aussteiger. Wege aus der rechten Szene“ (Ravensburger). Mehr unter: www.burks.de
Seit einem halben Jahrzehnt verkauft die Firma MediaTex aus Königs Wusterhausen bei Berlin Textilien für Damen, Herren und für Kinder – eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Die Symbole auf der Kleidung sind vielen Menschen jedoch ein Dorn im Auge, weil sie wie germanische Runen aussehen. Sie finden: „Da muss man doch was tun.“
An sich bedeuten diese Zeichen, die Tiwaz- oder die Gebo-Rune, allerdings erst einmal nichts: sie sind genauso „nordisch“ oder „völkisch“ wie blondes Haar oder blaue Augen. Es könnte aber sein, befürchten die runenkundigen Gegner der Marke, dass Neonazis sich dabei etwas Neonazistisches denken, wenn sie diese Textilien tragen und sich gegenseitig daran als Neonazis erkennen. Das wiederum wäre nicht gut, will man doch den Faschisten keinen Fußbreit und so weiter. Also muss man mahnen, warnen, sich empören, entlarven und mindestens mit Lichterketten werfen gegen Läden, die Thor-Steinar-Ware im Sortiment führen.
Filialen der einschlägigen Ladenkette Tonsberg in Leipzig, Magdeburg, Dresden und Berlin-Mitte stoßen bei Antifa-Gruppen wie braven Bürgern jedenfalls stets auf Protest. In mehreren Fußballstadien der neuen Bundesländer, im Bundestag und im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist es gar verboten, mit Kleidung dieses Labels aufzukreuzen. Ein Sweatshirt aus Königs Wusterhausen ist offenbar gefährlicher als ein Taschenmesser – das würde einem im Parlament nicht abgenommen.
In dem Land, das den protestantischen Bildersturm erfunden hat, ist ein Kampf um Symbole in der Regel hoch emotionalisiert: er regt die Leute mehr auf als der Streit um politische Inhalte. Wer aber glaubt, dass Runen auf Hemden, Pullis und Jacken politisch „wirken“, der huldigt primitiver Magie. Er könnte genauso gut an Gespenster glauben oder in eine katholische Messe gehen.
Völkerkundler wissen: ein beliebiges Zeichen beeinflusst die Gruppendynamik erst dann, wenn die Mitglieder sich a priori und oft unbewusst darauf verständigt haben, beim Anblick dieser Symbole etwas zu empfinden. Ein Baby sieht bei einem Hakenkreuz schwarze Striche, ein Inder ein Symbol für Glück. Und der Deutsche? Gehört er zu den sittlich Gefestigten, dann gruselt er sich, wie es sich moralisch gehört.
Nur zur Erinnerung – und weil auch in der taz schon das Gegenteil behauptet wurde: Die Marke Thor Steinar war nie verboten. Das Tragen der Kleidung ist nie rechtskräftig zum Straftatbestand erklärt worden. Keines der vom Label benutzen Symbole ist verfassungsfeindlich. Über 200 Strafverfahren wurden wegen Thor Steinar angestrengt, alle wurden eingestellt. Der Verfassungsschutz hat nie behauptet, der Firma gehörten Rechtsextremisten an. So what?
Was sich eine Firma für eine erfolgreiche und teure Werbekampagne wünscht, wurde dem Label durch seine Gegner gratis frei Haus geliefert: mediale Aufmerksamkeit durch Proteste, Schärfung des Profils durch popkulturelles Geraune von „rechtem Schick“ und „Kultmarke“, dazu ein eigener Eintrag bei Wikipedia mit detaillierter Produktbeschreibung: „martialisch“, „Streetwear“ – so etwas weckt Neugier bei der potenziellen jugendlichen Kundschaft. Für Werbefachleute wäre Thor Steinar ein Leckerbissen. Hinzu kommt das Gütesiegel durch den Verfassungsschutz, Thor Steinar sei „identitätsstiftend“ für die rechte Szene, ein juristischer Persilschein und – am wichtigsten, um für Underdogs attraktiv zu sein – das Hausverbot in Fußballstadien und Parlamenten.
Was will man mehr? Wer die Textilien von Thor Steinar erwirbt, der besitzt Kleidung, die es garantiert nie von der Stange und im Kaufhaus geben wird. Stattdessen macht sie den Träger – wie schon die klassischen Lieblingslabels der Skinheads, Fred Perry, Ben Sherman, Lonsdale oder Everlast, zum Mitglied einer Gruppe von Eingeweihten, die sich untereinander erkennen. Sie können sich fühlen wie Besitzer einer seltenen Automarke, die sich auf der Straße zufällig begegnen und sich flüchtig grüßen, obwohl sie sich nicht kennen. Thor Steinar – da weiß man, was man hat. Das beflügelt den Verkauf.
Betrachtet man den Katalog von Thor Steinar, erstaunt eher, wie fantasielos die Produktpalette ist: Das Top „Turboelfe“ für „Mädels“ klingt wie ein Accessoire für Opel-Manta-Fahrer, „Shorts Sigrid“ nach dem Regal einer schwedischen Möbelfirma, und die wetterfeste Kleidung für Jungs besteht im Wesentlichen aus aufgebrezelten Bomberjacken. Die Feinstrickpullis erscheinen wie eine Mischung aus Matrose gewollt, aber nicht gekonnt und einem Outfit für Hooligans im Seniorenheim. Ganz multikulti kommen die Badeshorts „Samoa“ und „Sansibar“ mit Blümchenmuster (für Männer!) einher. Modebewusste Rechtsextremisten mit prallem Geldbeutel tragen offenbar kein Feinripp mehr: das lässt immerhin hoffen. Dann gibt es noch die Farbauswahl Schwarz, Weiß und Rot. Ein Schelm, wer überhaupt was dabei denkt.
Zugegeben: wer sich an den Kampagnen gegen Thor Steinar beteiligt, der meint es meist gut. Doch in Wahrheit schlummert hinter der Antifa-Attitüde, eine clevere und politisch zynische Geschäftsidee mit Mitteln des Strafrechts oder gar mit Gewalt bekämpfen zu wollen, das typisch deutsche Obrigkeitsdenken, dem auch Linke und Lichterkettenträger allzu gern immer wieder verfallen. Sie finden, der Staat müsse gegen das Böse – hier: Thor Steinar – hart durchgreifen. Melde gehorsamst: gefährliche Symbole entdeckt! Bitte Verbot durchführen!
Dabei dürfte sich auch bei der Räuber-und-Gendarm-Antifa herumgesprochen haben, dass eindeutig zweideutige Mimikry inzwischen auch zum Repertoire der ganz braunen Kameraden gehört. Ein Rassist und Antisemit kann, wenn er hip sein will, auch ein Che-Guevara-T-Shirt tragen, ein Pali-Tuch sowieso. Es gibt keine subkulturelles Zeichen mehr, die eindeutig für eine politische Idee stehen. Das ist auch gut so: Wer Symbole umdeutet, sie flexibel einsetzt, schwächt ihre Bedeutung im kulturellen Kontext. Es würde dem Ruf der Marke bei überzeugten Rechtsextremen eher schaden, wenn sie Normalos oder Linke trügen, als wenn man ihr den Nimbus des Besonderen zubilligte.
Thor Steinar ist in Sachen Mode, was die Böhsen Onkelz für die Musik sind: ein Angebot für den rechten Rand, für den „White Trash“ und alle Verlierer mit Trotzhaltung, aber auch für die nur gefühlt bösen Jungs, die am liebsten ihr Wohnzimmer mit deutscher Eiche ausstaffieren.
Wie sehen sich die Kunden von Thor Steinar selbst? Darauf gibt eine Umfrage auf der Website Auskunft: „Mit überwältigender Mehrheit stuften sich die Käufer der Marke als politisch uninteressiert oder in der Mitte der Gesellschaft befindlich ein.“ Was nichts anderes heißt als: wer Thor Steinar trägt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parolen empfänglich und steht politisch genau dort, wo Rassismus und Antisemitismus ihre stärksten Wurzeln haben: mittendrin in Deutschland.
BURKHARD SCHRÖDER
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