: Türkischer Staat bedauert Polizeifolter
Justizminister entschuldigt sich bei der Familie eines zu Tode gequälten Häftlings
ISTANBUL taz ■ Erstmals in der Geschichte der türkischen Republik hat sich jetzt ein Minister offiziell im Namen des Staates für den Tod eines Häftlings entschuldigt, der offenbar in Untersuchungshaft zu Tode gefoltert wurde. „Im Namen des Staates und meiner Regierung“, so Justizminister Mehmet Ali Sahin, „entschuldige ich mich bei den Angehörigen von Engin Ceber. Ich verspreche, dass wir alles tun, bis die Schuldigen gefunden und bestraft sind.“ Gleichzeitig wurden 19 Polizisten, Gefängniswärter und ein Gefängnisarzt suspendiert und Ermittlungen gegen sie eingeleitet.
Der Entschuldigung vorangegangen war eine heftige Kritik am Schweigen der Regierung – auch vonseiten der großen Medien, wo der Tod Engin Cebers für Empörung gesorgt hatte. Engin Ceber, ein 29-jähriger Istanbuler, der Mitglied der kleinen sozialistischen Gruppe „Der Marsch“ war, war am 28. September mit zwei Freunden verhaftet worden, als sie im Bosporusvorort Istinye Flugblätter verteilten. Sie wollten an ihren Freund Ferhat Gercek erinnern, der beim Verkauf der Zeitschrift „Der Marsch“ 2007 von Polizisten angeschossen worden war und seitdem querschnittsgelähmt ist.
Weil sie auf ihren Flugblättern die Bestrafung der Verantwortlichen verlangten, ging die Polizei auf die Flugblattverteiler los und verprügelte sie. Mit Engin Ceber wurden noch Özgür Karakaya, 22, und Cihan Gün, 18, verhaftet. Nach Angaben eines Anwalts wurden alle drei auf der Polizeiwache gefoltert und auch in U-Haft misshandelt. Dabei erlitt Engin Ceber so schwere Kopfverletzungen, dass er am vergangenen Freitag in einer Klinik starb.
Am Wochenende erinnerte der Kolumnist Ahmet Hakan im Massenblatt Hürriyet die Regierung Erdogan daran, dass sie einmal „null Toleranz“ gegen Folter versprochen hätte. „Warum schweigt die Regierung jetzt“, fragte Hakan und viele Kollegen schlossen sich ihm an. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass Engin Ceber ein bürgerlicher Intellektueller ist, der einem harmlosen Debattierclub angehört. Die Empörung über den Mord wurde jedenfalls so laut, dass sich die Regierung zu der Entschuldigung und den Suspendierungen genötigt sah.
Ob es zu wirksamen Ermittlungsverfahren und zügigen Prozessen gegen die mutmaßlich an der Folter Beteiligten kommt, bezweifeln die meisten Menschenrechtsorganisationen. Bislang sind fast alle Foltervorwürfe gegen Polizisten im Sande verlaufen. Die meisten Verfahren werden abgeblockt. Kommt es doch zu einer Verurteilung, wird der Strafantritt so lange verzögert, bis ein Gericht das Urteil in eine Bewährungsstrafe umwandelt. Gölserin Yollari, Sprecherin der Istanbuler Abteilung der Menschenrechtsvereinigung, sagte, sie hoffe, dass dieser Fall dazu führe, dass die vorhandenen Kontrollmechanismen endlich angewandt würden und Folter künftig verhindert werde.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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