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„Die Demos sind ein sehr starkes Signal“

Der Berliner Sicherheitsexperte Otfried Nassauer hofft, dass nach dem weltweiten Protest über einen Irakkrieg noch einmal nachgedacht wird. Sorge macht ihm dabei der sich verbreitende Glaube an Armageddon

Interview PHILIPP GESSLER und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Kommt der Krieg?

Otfried Nassauer: Schön wär’s, wenn er nicht käme. Die Wahrscheinlichkeit, dass er kommt, ist aber leider höher.

Wie hoch?

Ich will keine Prozentzahlen nennen. Krieg in dieser Situation ist die schlechteste aller Lösungen. Er schädigt nicht nur die Stabilität und die Friedensperspektiven für die Region, sondern auch das internationale Rechtssystem, die multilateralen Organisationen, und er beschädigt sogar den amerikanischen Ansatz, Proliferation und Terrorismus notfalls mit Gewalt zu bekämpfen. Es gibt einen klaren Widerspruch im Umgang der USA mit dem Irak einerseits und Nordkorea andererseits. Pjöngjang hat wahrscheinlich im Gegensatz zu Bagdad real existierende Massenvernichtungsmittel. Das stellt Washington schon jetzt vor die Wahl, viele Kriege zu führen oder viele Standards zu praktizieren.

Welche Standards?

Die USA müssen sich entscheiden, ob es verschiedene Arten von Schurken geben soll – böse Schurken, gegen die man Krieg führen muss, tolerable Schurken, mit denen verhandelt werden muss, und gute Schurken, denen man helfen sollte, Massenvernichtungswaffen zu besitzen.

Sie analysieren tagtäglich die Ereignisse in Washington. Wie geht denn die Bush-Administration intern mit diesen Widersprüchen um?

Auch sie weiß um die Begrenztheit der anscheinend unbegrenzt handlungsfähigen Militärmacht USA. Washington kann nicht beliebig viele Kriege gleichzeitig führen. Ihr ist auch klar, dass sie Weltordnung nicht ohne Verbündete gestalten kann, die helfen, bestimmte Normen umzusetzen. Wer doppelte Standards praktiziert, der muss sich schnell fragen lassen, ob nicht letztlich doch das eigene nationale Interesse über Krieg oder Diplomatie entscheidet. Dann ist das aber keine wertebasierte Entscheidung mehr, sondern Tagespolitik, Machtpolitik und Taktik. Das zeigt die Doppelkrise Nordkorea und Irak schon jetzt deutlich.

Wie lange könnte ein Krieg im Irak dauern?

Schwer zu sagen. Darüber entscheiden die amerikanische Strategie und die Frage, ob das irakische Militär schnell zusammenbricht oder nicht. Dazu kommt die große Ungewissheit, was nach diesem Krieg kommt.

Ist es für Sie als langjähriger Friedensaktivist nicht was ganz Neues, mit dem Nein zur Gewalt auf Regierungslinie zu sein?

Ich bin zufriedener als früher. Aber ich würde davon ausgehen, dass es in der Berliner Irakpolitik noch zu erheblichen Brüchen kommen kann.

Welche Brüche meinen Sie?

Die Grauzonen des deutschen Neins zum Beispiel. Das fängt an mit dem deutschen Personal in den Awacs-Flugzeugen. Es gibt keine saubere Möglichkeit der Abgrenzung zwischen der Luftraumüberwachung der Türkei und einer potenziellen Überwachung der Flugverbotszone im nördlichen Irak, die ja von der UNO und der Bundesrepublik nicht anerkannt wird. Da ist eine Grauzone zwischen Beteiligung und Nichtbeteiligung. Es bleibt abzuwarten, wie die Haltung der Bundesrepublik dann in solch kniffligen Fragen sein wird.

Vertrauen Sie Schröders Anti-Kriegs-Position?

Ich habe sie schon vor der Wahl zumindest für glaubwürdiger gehalten als andere. Der wahlkampftaktische Anteil mag da gewesen sein, aber er ist nicht so entscheidend. Es geht um mehr.

Was ist dieses Mehr?

Zweierlei. Erstens die Frage: Wer entscheidet rechtmäßig über Krieg und Frieden, wer über die internationale Rechtsordnung? Die UNO oder der Nationalstaat USA? Multilaterale Institutionen und internationales Recht können nur funktionieren, wenn sich auch der Stärkste an die Regeln hält. Wenn die multilateralen Gremien – egal ob UNO oder Nato – vor die Wahl gestellt werden, sich als Erfüllungsgehilfen des Stärksten zu betätigen oder in die Bedeutungslosigkeit abgeschoben zu werden, dann verlieren sie eine ihrer wichtigsten Funktionen, den Schutz der Schwachen. Wenn der Stärkste internationales Recht bricht, dann fällt man zurück ins Naturrecht, das Recht des Stärkeren. Solche Entwicklungen können einfach nicht im Interesse Europas liegen.

Und das Zweite?

Keine Bundesregierung kann es sich angesichts des Artikels 26 der deutschen Verfassung „Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges“, an dem ja die USA nicht ganz unschuldig sind, erlauben, offenen Verfassungsbruch zu begehen. Von keiner Regierung der Erde kann politisch verlangt werden, dass sie sich so verhält, dass sie hinterher vom eigenen Verfassungsgericht in den Knast geschickt werden kann.

Warum kriegt die Regierung für ihren Kurs dann so viel Prügel von der Opposition?

Wir sind im Moment wohl das einzige Land, in dem die Opposition offen die Übernahme der Außenpolitik eines anderen Staates fordert und glaubt, damit Regierungsfähigkeit zu demonstrieren. Für eine solche innenpolitische Instrumentalisierung ist die Frage nach „Krieg oder Frieden“ einfach zu ernst.

Jenseits der Sprengkopfzählerei und der Analyse armdicker Sitzungsprotokolle – interessieren Sie sich auch für die Akteure als Menschen?

Was mich sorgt, ist, dass sowohl George W. Bush als auch Ariel Scharon und Ussama Bin Laden an die große, endzeitliche militärische Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse glauben – an Armageddon. Da gibt’s nur einen Sieger, den Guten, für den jeder sich hält, und also winkt jedem – nach dem „Weltuntergang“ – das Paradies. Das ist eine Gemeinsamkeit aller drei im Nahen Osten beheimateten Weltreligionen.

Was meinen Sie damit?

Ich fürchte einfach, dass extreme, endzeitliche, religiöse Glaubensvorstellungen einzelner wichtiger Akteure zu irrationalen politischen Entscheidungen beitragen oder führen könnten.

Hat es Sie überrascht, dass harte Positionen in der Bush-Regierung von Frauen – denken Sie an die Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice – formuliert werden?

Nein, überhaupt nicht. Das wäre in Deutschland ähnlich. In konservativen männerdominierten Gesellschaften boxen sich oft solche Frauen nach oben, die im Prinzip die männliche Psyche spiegeln.

Das Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit, kurz Bits, existiert seit 1991 und finanziert sich aus unterschiedlichen Quellen. Wie unabhängig können Sie wirklich arbeiten?

Mit unserer Art von Finanzierung aus vielen unterschiedlichen Quellen, aus internationalen und nationalen Stiftungen, Spenden etc. können wir unabhängiger sein als fast jedes andere Institut mit diesem Arbeitsgebiet. Bislang gab es zum Geld niemals eine politische Konditionierung.

Wie recherchieren Sie und Ihr vergleichsweise kleines Institut bei solch globalen Themen. Reisen Sie viel, lungern Sie auf den Fluren der Nato herum?

Überhaupt nicht oder sehr selten.

Wie kommen Sie dann an die Informationen?

Wir haben Kontakte zu vielen Leuten, die wir z. B. auf Tagungen treffen, und Freunde, in den Institutionen, in den Medien, in der Politik. Mit denen tauschen wir Informationen aus, die wir für unsere Arbeit benötigen. Aber 80 oder 90 Prozent der Recherchearbeit läuft über „Papier“, das Internet und öffentlich zugänglichen Quellen. Die hohe Kunst ist es, aus der Fülle der Daten die relevanten Informationen herauszufischen.

Wie sieht das aus?

Nachdem Präsident Bush inthronisiert wurde, habe ich beispielsweise untersucht, welche republikanischen Think-Tanks und welche Leute Konzepte für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik geschrieben haben. Dann habe ich geschaut, wer von diesen Leuten in die Administration geht und wohin. Ich nahm an, dass die Personen, die an den Studien beteiligt waren, versuchen würden, ihre Empfehlungen auch in Politik umzusetzen. Das damals entstehende Bild gleicht ziemlich dem, was seither in Washington real entstanden ist.

Kamen Sie nach Berlin, weil es die Stadt des Ost-West-Konflikts war und hier die ganz große Politik geradezu fühlbar war?

Wir kamen aus West und Ost und gingen daher nach Berlin. Ich kam aus Hamburg und mein damaliger Mitbegründer war ehemaliger NVA-Offizier. Bits sollte eigentlich mal Hits heißen, Hamburger Informationszentrum, und im Januar 1990 entstehen. Dann kam aber die Weltgeschichte dazwischen, der 9. November, und wir haben uns vertagt.

Zuvor hatten Sie in Hamburg Theologie studiert. Ist ihre Arbeit heute die konsequente Weiterentwicklung dieser Richtung?

Ich habe dazwischen lange als freier Journalist gearbeitet. Hier bei Bits bin ich auch freiberuflich und ehrenamtlich engagiert. Der Großteil meines Einkommens kommt immer noch aus journalistischer Tätigkeit. Bei anderen Mitarbeitern ist es nicht anders. Mehr gibt unser Budget nicht her.

Führte Sie theologisches Interesse zur Friedensbewegung?

Ich komme ursprünglich aus der kirchlichen Friedensbewegung. In den 70er- und 80er-Jahren war ich dort aktiv, im Internationalen Versöhnungsbund und in Friedensgruppen an der theologischen Fakultät. Daraus entwickelte sich, was ich heute mache.

Welche Rolle spielen denn diesmal die Kirchen in der Antikriegsbewegung?

Eine sehr interessante. Beide große Kirchen haben sich seit Jahrzehnten nicht mehr so politisch geäußert, wie sie es jetzt tun. Auch sie betonen, dass sich auch der Stärkere an das Recht zu halten hat.

Was halten Sie denn von der Friedensbewegung des Jahres 2003?

Ich finde es absolut spannend, dass sich Friedensbewegung und Globalisierungskritik zusammenfinden und in einen Diskurs eintreten. Daraus könnten sich kluge Gedanken ergeben. Ich bin gespannt, wohin das führt.

Vorerst aber gilt: Krieg ist als Mittel der Politik wieder möglich. Empfinden Sie das persönlich als eine Niederlage?

Nein, unsere Arbeit hat Sisyphos-Charakter. Wirklich Einfluss kann man nur selten ausüben. Wir sind nicht so größenwahnsinnig zu glauben, dass wir die Welt in 48 Stunden auf den Kopf stellen könnten.

Was ist denn gedanklich in den letzten Jahren geschehen, dass Krieg wieder ein Mittel der Außenpolitik wird?

Zur Zeit des Kalten Krieges hatten alle ein Interesse daran, die Deckel auf den Schnellkochtöpfen der Krisenregionen geschlossen zu halten. Damit blieb die Situation relativ stabil. Das gilt nicht heute nicht mehr. Viele Krisen werden Kriege, zwischenstaatliche und innerstaatliche. Nichtstaatliche Akteure – vom Söldnerkonzern über lokale Kriegsherren bis zu Terroristen – mischen mit. Zudem wollen die USA von Deutschland, dass es geopolitisch agiert und einer Politik zustimmt, in der nationale Interessen nicht mehr multilateral abgestimmt werden. Und dass ausgerechnet wir uns darauf einstellen, auch ohne UNO-Mandat mit den USA militärisch zu agieren.

War es dann überhaupt ausreichend, was in den letzten Wochen gegen den Krieg unternommen wurde?

Da kann nie genug unternommen werden. Zurzeit werden ähnlich viele Menschen aktiv wie zu Zeiten der Nachrüstungsdebatte. Wichtig ist jetzt, dass die Menschen aktiv bleiben, dass sie eine politische Perspektive entwickeln, die über das schlichte Nein zum Krieg hinausgeht und zu einer Stärkung des Multilateralismus und des internationalen Rechts führt.

War Ihrer Meinung nach die Demo vom Samstag ein starkes politisches Signal?

Ja, ein äußerst starkes. Und das nicht nur in Berlin, sondern weltweit. Nach diesen Demonstrationen und nach der denkwürdigen Sitzung des Sicherheitsrates kann man nur hoffen, dass noch einmal neu nachgedacht wird.

Bietet die Irakkrise auch eine Chance?

Ja. Ihre Lösung könnte ein Beispiel dafür sein, wie es mit weltweiter Unterstützung möglich wäre, ein bedrohliches Waffenprogramm in einem Land durch Diplomatie, Inspektionen und militärischen Druck, aber ohne Krieg zu beenden.

Wenn es nicht zu einem Krieg kommt, ginge das internationale Rechtssystem gestärkt daraus hervor?

Ja, das wäre ein deutliches Signal. Auch ein gutes Signal für die Korea-Problematik.

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