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In Marokko vermisst

2002 geriet in Bremen ein türkischer Sozialarbeiter und Flüchtlings-Aktivist in einen Ehestreit und wurde erschossen. Gestern fiel der erste Prozesstermin aus. Der Angeklagte war nicht erschienen

VON CHRISTIAN JAKOB

Ein seit sechs Jahren erwarteter Prozesstermin um die Erschießung eines türkischen Sozialarbeiters ist gestern am Landgericht Bremen geplatzt. „Ich bin mir sicher, dass wir bis 18 Uhr heute Abend anfangen können“, versuchte Udo Würtz, der Verteidiger des angeklagten Werftarbeiters C., am Morgen das Gericht zu besänftigen. Sein Mandant war nicht erschienen. Wegen „katastrophaler Regenfälle“ in Marokko habe C., den das Gericht sechs Jahre lang nicht in U-Haft nahm, am Vortag den Rückflug verpasst. Am Nachmittag werde er jedoch am Bremer Flughafen eintreffen.

C. und seine Frau müssen sich wegen Totschlags an Abdulkadir Akbaba verantworten. Dieser hatte nach seiner Anerkennung als Asylbewerber für die Bremer AWO ältere Migranten betreut. Am Pfingstmontag des Jahres 2002 war er in die Wohnung der Eheleute C. gerufen worden, um einen Streit zu schlichten. Ein womöglich von C. abgegebener Schuss traf Akaba in die Stirn. Ob absichtlich oder aus Versehen – das soll nun im Prozess geklärt werden.

„Die Verhandlung beginnt um neun,“ wies der Richter die Beschwichtigungsversuche zurück . Im übrigen sei unverständlich, wieso jemand, der wegen eines so schwerwiegenden Delikts angeklagt sei, bis „zum letzten Tag im Urlaub bleibt“. Die Einwände von Anwalt Würtz, dass die Ladung an den seit 1971 in Deutschland lebenden C. nicht auf türkisch verfasst war, die Sache „ja nun schon sechs Jahre her ist“ und es sich „nicht um Urlaub, sondern um eine geheim gehaltene Hochzeit mit einer Marokkanerin“ handele, beeindruckten den Richter nicht. Er erließ einen Haftbefehl.

Der Fall hatte in Bremen für Aufsehen gesorgt, weil Akbaba, der wegen seines politischen Engagements in der Türkei sechs Jahre im Gefängnis saß, sich in Bremen als Menschenrechtsaktivist einen Namen gemacht hatte. Ende der 1990er Jahre gehörte er zu den Organisatoren eines Flüchtlingsstreiks gegen die unwürdigen Bedingungen auf dem Wohnschiff „Embrica Marcel“. Aus der erfolgreichen Protestaktion ging ein bundesweites Flüchtlingsnetzwerk hervor, das bis heute existiert. Über 20 einstige Mitstreiter und FreundInnen begleiteten gestern die Ärztin und ehemalige Lebensgefährtin von Akbaba, Katharina Venzky. „Das die Sache schon sechs Jahre her ist, macht es nicht weniger schlimm. Hier hat immerhin ein Mensch sein Leben verloren,“ sagte Venzky, die die Mutter der neunjährigen Tochter von Akbaba ist. Sie hatte sich mehrfach an die Öffentlichkeit gewandt, weil das Landgericht die Eröffnung des Prozesses immer wieder hinausgezögert hatte.

Sowohl Bekir C. als auch seine Frau Sulta hätten Akbaba erschießen können. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Frau ihren Mann an jenem Tag „unter anderem mit der Behauptung provozierte, Kadir sei ihr Liebhaber gewesen“, so die Klageschrift. Anschließend habe sie eine Waffe aus einem Nebenzimmer geholt und auf ihren Mann gerichtet. Der habe ihr die Pistole entwunden, wobei sich der Schuss auf Akbaba gelöst habe. Anschließend habe er seiner Frau in die Schulter geschossen und die Wohnung verlassen.

Sulta C. erschien gestern als einzige Angeklagte im Gericht. Die Nachricht von der marokkanischen Hochzeit ihres Exmannes habe sie überrascht: „Sie wusste davon gar nichts,“ so ihre Dolmetscherin. 23 ZeugInnen und sechs Sachverständige hat das Gericht geladen. In der Woche vor Weihnachten soll ein Urteil gesprochen werden. Gestern entschuldigte sich die Kammer bei den sechs anwesenden Sachverständigen für die Vertagung des Prozesses. „Wir werden dann am Freitag mit den Vernehmungen beginnen,“ kündigte der Vorsitzende an.

Ob der Prozess dann wie geplant starten kann, ist fraglich. Bis zum späten Nachmittag jedenfalls war C. nicht aufgetaucht, hieß es bei der Bundespolizei am Bremer Flughafen.

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