Ein Schläger hinter Gittern

Thomas R. hatte sieben Menschen umgebracht, als er in die JVA Tegel kam. Dort schlug und würgte er einen Mithäftling, der fast starb. Das Urteil: zehn Jahre Haft. R.: „Das macht den Käse nicht fett“

VON MAREKE ADEN

Herr R. sagt: „Herr Vorsitzende, Sie wissen doch genau, wie det is.“ Er spricht mit dem Vorsitzenden Richter, als ob er ihn kenne. Es wäre nicht verwunderlich. R. hat „Vorstrafen wie kaum jemand anderes“, sagt der Staatsanwalt. Unter anderem hat er sieben Leute umgebracht, sechs Frauen, die er zum Teil vergewaltigte, und seinen Stiefbruder. 1996 ist er deswegen verurteilt worden.

Nun hat er seinen Mithäftling K. „Maß genommen“. So beschreibt er seine Tat. Die Anklage verwendet nicht nur juristischere, sondern auch drastischere Worte: „versuchter Totschlag“. Sie hat gute Argumente: R. hat auf K. eingeschlagen, ihn gewürgt und dem bewusstlosen Mithäftling einen Zettel mit der Aufschrift „Ich bin ein Junkie“ umgebunden. K. hatte versehentlich 86 Gramm Haschisch erhalten und einfach behauptet, R. habe die Drogen bekommen. Den leblosen Körper des K. hat R. unter ein Bett geschoben. Später hat er die Wachmeister über den Zustand seines Opfers informiert mit den Worten, es könne „auf seiner Zelle entsorgt werden“. K. hat nur knapp überlebt und bis heute Mühe beim Sprechen.

R. ist kein sensibler Mensch, das merkt man auch im Gerichtssaal. Der Richter fragt: „Nun war es ja so, dass das Bett, unter dem K. lag, auseinander gebaut werden musste, um an ihn heranzukommen. Hat es Ihnen Mühe bereitet, K. unter das Bett zu schieben?“ Die Antwort: „Dit kann ich mir nich vorstellen, dit hätten die ooch einfach anheben können, so schwer is doch so’n Bett nicht. Dit is doch aus Holz.“

Der Richter ist andere Angeklagte gewohnt. Er hat Egon Krenz ins Gefängnis geschickt. Mit diesem Angeklagten kommt das Gespräch nicht in Gang. Die beiden unterhalten sich über die Tat und unterhalten sich doch nicht. Der Richter spricht so gediegen wie ein Fernsehmoderator in den 60er-Jahren. Jede Silbe betont er, besonders die letzte im Satz. Was Herr R. antwortet, könnte dagegen in ähnlichem Tonfall in jeder 24-Stunden-Eckkneipe Berlins gesagt werden.

Der Richter: „Sie waren sauer auf K. Gab es keine Möglichkeit zum verbalen Austausch?“ Herr R.: „Aber, Herr Vorsitzender, ick hab doch über Wochen jewartet.“ Der Richter: „Sie haben gesagt, K. könne entsorgt werden. Wie genau haben Sie das gemeint?“ Herr R.: „Keene Ahnung. Ick hab mir keene Gedanken gemacht.“ Der Richter: „Bei der Polizei haben Sie gesagt: ‚Zu dem Zeitpunkt war mir der Tod des K. nicht so wichtig.‘ Haben Sie das so gesagt?“ Herr R.: „Na, meene Grammatik is nu nich gerade so besonders.“

Das ist der Satz, an den die Verteidigerin Frey anknüpft. „Sie merken ja, dass er die Worte oft durcheinander bringt.“ Vielleicht habe er nicht „entsorgen“ gemeint, sondern „versorgen“, als er die Wachtmeister ansprach. Dann wäre die Aussage als Rücktritt zu werten und die Tat kaum noch zu bestrafen.

Frey ist eine erfahrene und sehr alte Anwältin. Schon 1993 und 1996 hat sie R. vertreten. „Irgendwann muss er mal aufhören mit diesen Taten, dann kann ich auch aufhören, Anwältin zu sein.“ Sie versteht nicht, warum R. voll schuldfähig sein soll. 1993 sagte ein Psychologe, R. sei eigentlich ein ganz liebenswerter Mensch. Drei Jahre später gestand er fünf seiner Morde. „Das kann doch auch gar nicht normal sein, dass jemand sieben Menschen umbringt.“

Am Ende, nach zwei Tagen Verhandlung nur, wird R. zu zehn Jahren Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt. Seine Aussage hat nur eine halbe Stunde gedauert, weil er freimütig gestand. Über die gewundenen Gänge des Moabiter Strafgerichts wird er zurück ins Gefängnis geführt, aus dem er kommt. Dort wird er nicht mehr lang bleiben. Tegel will ihn nicht mehr. Bald kommt er in ein anderes Gefängnis, wahrscheinlich nach Brandenburg. Die Anwältin bittet am Ende ihres Plädoyers um ein Urteil, mit dem R. nicht als „Ungeheuer“ in die neue Anstalt kommt. „Thomas R. ist ein Mensch, der unter Thomas R. leidet.“

Im Gefängnis wird R. sein Leben lang bleiben. Das ist auch der Grund für sein Geständnis. „Is doch eh egal, was ich hier sage. Das macht den Käse ooch nich mehr fett.“