piwik no script img

Nato-Sicherheitskonferenz in MünchenWürden Sie diesem Mann eine Zelle vermieten?

München taz ■ Die Stahltür, hinter die sie mich sperren, ist geziert von drei Schlössern und zwei kräftigen Riegeln. Polizeipräsidium München, Ettstraße, Zelle 301: Zehn Holzpritschen, mit Scharnieren an der Wand befestigt, Neonlicht, eine Sichtschutzplatte vor dem Klo. 14 Gefangene haben ein Mühlespiel auf eine Holzbank gekratzt, aus Socken und Klopapier einen Fußball gebastelt. Servus und Grüß Gott in Bayern.

Ich hätte das alles vorhersehen können. Vor Jahren schon wollte eine Streifenwagenbesatzung in Olching im Münchner Hinterland unbedingt meinen Rucksack inspizieren. Ich hatte mich daumenhebend an der Ausfallstraße postiert. Mein Fehler: Ich trug eine farbige Hose. Gelb, lila, rot, grün – zu bunt für Weiß-blau. Deutlicher wurden sie im letzten Frühjahr. Da wollte ich nach Schwäbisch Sibirien, die kalte Nordost-Ecke Baden-Württembergs. Mein Pech: Ich musste in Ansbach umsteigen, und das liegt in Bayern. Einmal mit Rucksack auf dem Rücken vom Bahnhof in die Stadt und zurück reichten bereits aus, um das Misstrauen der Ordnungshüter im Freistaat zu erwecken – trotz unverfänglicher Hose. Als ich zum zweiten Mal in einer halben Stunde durch dieselbe Straße marschierte, warnte mich ein Grünbemützter: „Wenn Sie noch mal hier vorbeikommen, müssen wir sie kontrollieren.“ Seither achte ich genauer auf meine Umsteigebahnhöfe.

Am Freitagabend half auch das nichts mehr. Ziellos bummle ich mit Freunden durch die Münchner Fußgängerzone. Am Jagdmuseum biegen wir in die Augustinerstraße ein. Es ist kurz nach sieben, rechts und links von uns schleppen Passanten ihre letzten Schlussverkaufsschnäppchen. Die beiden Polizisten aber stellen sich nur uns in den Weg. „Wohin?“ - „Geradeaus.“ Ein verdächtiges Ansinnen, ohne Frage. Schließlich planen linker Hand, dreihundert Meter weiter, gerade Nato-Minister und Rüstungslobbyisten an unserer Sicherheit. Und meine Freunde und ich tragen Jeans und Wanderstiefel. „Sicherheitszone II“, teilt uns der Uniformierte mit, und will uns immer noch nicht weitergehen lassen. Rechts von uns schiebt eine Mutter unbehindert ihren Kinderwagen in die Zone. „Ich weiß, das wird immer so gesagt, dass das nach dem Aussehen geht. Aber das ist einfach so“, gibt der Wegversperrer freimütig zu und ordert Verstärkung herbei. Kurz darauf sind wir umzingelt. Wenn wir unsere Ausweise zeigten und uns in die Jackentaschen kucken ließen, und sich nichts Gefährliches fände, dürften wir durch, verspricht uns der Polizist plötzlich. Außer Tempos und Tampons findet sich nichts. Trotzdem dürfen wir nicht weiter. Begründung? „Wir haben das Recht, Ihnen einen Platzverweis zu erteilen.“

Die „niedrige Eingriffsschwelle“, die der Münchner Polizeipräsident für das Sicherheits-Wochenende angekündigt hat, liegt offenbar so tief, dass sich keine Gründe mehr finden lassen. „Sie kommen doch von der Demo“, lautet die Frage. Anderswo gilt das als Grundrecht. Als wir immer noch fragen, werden wir die Arme nach hinten gedreht abgeführt. „Dafür sind Sie verantwortlich“, ereifert sich meine grüne Begleitung, als wir uns in die lange Reihe der Wartenden in der Ettstraße einreihen. Es ist kurz nach halb acht, ich bin Ingewahrsamnahme Nummer 206 heute. Kurz vor ein Uhr dürfen wir gehen. Hundert Meter nach links, und wir stehen wieder dort, wo wir fünf Stunden zuvor partout nicht durchgelassen wurden. Im Bayrischen Hof, zwei Straßen weiter, liegen Rumsfeld und Konsorten bestimmt längst in den Federn. „Sicherheitszone II“ jedoch ist gänzlich unbewacht. Schnell mache ich ein paar Schritte vorwärts, laufe unbehelligt mitten hinein in die verbotene Einkaufsstraße. Ohne Einkaufstüte. Mit orangenem Kapuzenpulli. Und Wanderstiefeln.

Armin Simon (28) ist Redakteur bei der taz Nord/Bremen und arbeitet zurzeit an einem Buch über die Verflechtung zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft beim Bau des Forschungsreaktors in Garching bei München

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen