: Brenn, Autor, brenn!
Die nationalsozialistische Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 und ihre Vorbilder
Im Mai 1976 verbrannte ich, noch 14-jährig, drei Bücher. Ich hatte sie von Verwandten bekommen, zur Konfirmation. Die Großonkel und -tanten, anders als ich an Büchern nicht interessiert, hatten Konsalik geschenkt. Ich probierte, doch selbst die ausgeprägte Lesesucht half nichts. Das Zeug war tendenzbraun und blöd, mies heruntergeschmiert, bah. Im Garten brannte es dann aber schön zügig weg.
Damals wusste ich noch nicht, dass Verwandte Leute sind, an die man weiterverschenkt, was man selber auf keinen Fall behalten will. Der Altpapiercontainer, Schutzheiliger gut sortierter Bücherregale, war noch nicht in Mode, und von Bücherverbrennungen in groß organisiertem Stil hatte ich ebenfalls keine Ahnung. Das änderte sich – durch Bücher, die ich las.
Zum Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 wird gern ein Satz aus Heinrich Heines Drama „Almansor“ zitiert: „Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Gedeutet wird er als prophetische Aussage über den Nationalsozialismus – Heine aber zielte bei der Niederschrift nicht auf die Zukunft, sondern auf seine eigene Zeit: Am 18. Oktober 1817 verbrannten deutsche Burschenschaftler auf der Wartburg bei Eisenach 28 Schriften, die ihrer völkischen Germanomanie im Weg waren. Zusammengestellt hatte die Liste Friedrich Ludwig Jahn, der Gründer und Führer deutscher Burschen- und Turnerschaften, der in seinen „Runenblättern“ ein „heiliges deutsches Kaiserreich“ ebenso forderte wie die Verbindung des „echten, unverfälschten Deutschen Volksthums“ mit dem „reinen Christenthum“ und eine „Allgemeine Deutsche Volkstracht“. Jahn, bis heute harmlos klingend „Turnvater“ genannt, war die alldeutsche Antwort auf die Französische Revolution, deren zivilisatorische Wirkungen er tollwütig bekämpfte: Wenn einer „seinen Töchtern Französisch lehren läßt“, schrieb er, „so ist das ebensogut, als wenn er ihnen die Hurerei lehren läßt“. Die Deutschen sollten zurück in den Teutoburger Wald, angeführt von Jahn, der Hermann den Cherusker nachträglich mit Jesus kreuzen wollte, zur Entstehung eines Monsters, das er „Urdeutschthum“ nannte.
Sein ausführender Handlanger auf der Wartburg war der Student Hans Ferdinand Massmann, der bei Fackelschein einen Korb mit Büchern herbeischleppte, einen Holzstoß entzündete, in den er die Bücher mit einer Heugabel hineinschaufelte und deklamierte: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum schmähen und spotten!“ Die Goebbels’ Geschrei vorwegnehmende pathetische Drohung war todernst gemeint: August Ferdinand von Kotzebues Schrift „Noch ein paar vernünftige Worte über die Turn-Angelegenheit nebst Proben von Unvernunft“ wurde auf der Wartburg im Beisein jenes Leutnants Sand verbrannt, der Kotzebue zwei Jahre später ermordete.
Gut 100 Jahre später waren wiederum rechtsnationale Burschenschaftler beteiligt, als in München Lesevorträge des Dichters Joachim Ringelnatz zuerst gestört und später untersagt wurden; der eher unpolitische Ringelnatz verspöttelte in seinen „Turngedichten“ den „ewigweiblichen Turnvater Jahn“. Aufführungen von Brecht-, Bruckner- und Wedekind-Stücken waren in München durch Tumulte und gewaltsame Ausschreitungen verhindert worden, ohne dass die Polizei eingegriffen hätte. Der Münchner Polizeipräsident Pöhner hatte schon 1921 seine Weigerung, Aufführungen von Schnitzlers „Reigen“ schützen zu lassen, so begründet: „Das Stück spricht jedem gesunden Volksempfinden Hohn und erregt daher mit Recht in weiten Kreisen der Bevölkerung Anstoß.“
Ringelnatz, angeekelt vom geistigen Klima in Hitlers „Hauptstadt der Bewegung“, schrieb über München: „Diese Stadt soll lebendig verwesen“; 1930 übersiedelte er endlich nach Berlin und dichtete frohlockend: „Nach Berlin, nach Berlin, / Nach Berlin umzuziehn, / Aus der dümmsten Stadt in der Welt …“ Doch was ihn in München gequält und zermürbt hatte, holte ihn auch in Berlin rasch ein: Die Nazis erteilten Joachim Ringelnatz Auftritts- und Berufsverbot. Er starb, völlig mittellos geworden, im November 1934, anderthalb Jahre nach der Bücherverbrennung. Seinen Kollegen Erich Mühsam und Carl von Ossietzky war es so ergangen wie 115 Jahre zuvor August Ferdinand von Kotzebue: Nach den Büchern wurden auch die Verfasser gemordet.
Am 10. Mai 1933 zelebrierte die gleichgeschaltete „Deutsche Studentenschaft“ mit führenden Nationalsozialisten die Verbrennung ihrer Feinde – in nazigigantischem Ausmaß auf dem Berliner Opernplatz und kleiner, aber nicht minder tödlich, in anderen deutschen Universitätsstädten. Was als jüdisch, pazifistisch, marxistisch oder praktischerweise gleich als alles drei einsortiert war, kam auf den Scheiterhaufen. Der Triumph der Nazis hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler: Sie konnten die meisten Schriftsteller nicht gemeinsam mit ihren Werken umbringen. Genau diese Praxis hatte noch im Mittelalter die katholische Inquisition vollzogen, zur Sicherheit quasi: Wer erst mal verbrannt ist, der schreibt nichts mehr.
Am 12. Mai 1933 erschien in der Wiener Arbeiterzeitung ein berühmt gewordener Artikel von Oskar Maria Graf: „Verbrennt mich!“ In ihre erste Liste verbotener Bücher hatten die Nazis von den 13 Büchern Grafs nur seine Autobiografie „Wir sind Gefangene“ von 1927 aufgenommen. Verständlicherweise fragte Graf, womit er die „Unehre“ verdient habe, dass sein übriges Werk nicht „der reinen Flamme des Scheiterhaufens“ übergeben worden sei.
Riecht es heute im Mai verbrannt in Deutschland, handelt es sich nicht mehr um Bücher, allenfalls um die von Günter Grass, die er höchstpersönlich aus Eitelkeit ansteckt, um zu beweisen, wie verfemt und verfolgt er doch angeblich sei – er, Grass, der sozialdemokratische Mainstream-Schnacker. So etwas tun nicht einmal die Barbaren Dieter Bohlen und Stefan Effenberg. Nein, wenn es jetzt brutzelstinkt im Land, dann haben wir es mit buchferner Kokelei zu tun: Der Vorgang heißt angrillen.
WIGLAF DROSTE
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