: Bis zur Bewusstlosigkeit
Nach fast anderthalb Jahren kommt es wegen eines brutalen Nazi-Überfalls doch noch zur Anklage – unter den drei Beschuldigten findet sich auch ein Fraktionsmitarbeiter der Schweriner NPD
VON ANDREAS SPEIT
Es war ein besonders brutaler Angriff: Im Sommer vergangenen Jahres griffen Neonazis in einem Zug bei Pölchow (Kreis Bad Doberan) mehrere Jugendliche an. Mit Gewalt drangen die Rechten in einen Waggon ein, schlugen und traten zu. „Ich dachte, das war’s“, sagte ein Geschädigter damals im Rückblick. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Rostock Anklage gegen drei der mutmaßlichen Täter erhoben – darunter auch Michael Grewe, Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag. „Die Anklage“, das ist Oberstaatsanwalt Peter Lückemann wichtig, „stützt sich auf zahlreiche Zeugenaussagen“.
An jenem 30. Juni 2007, einem Samstag, waren mehrere Jugendliche auf dem Weg nach Rostock, um dort gegen die NPD zu demonstrieren. Diese hatte ihrerseits einen Aufmarsch angemeldet, um einen Laden zu unterstützen, in dem sich die rechte Szene mit einschlägigen Bekleidungsmarken eindeckte; den Laden gibt es bis heute, nur der Betreiber wechselte. Im selben Zug reisten daher zahlreiche Neonazis in Richtung Hansestadt, so auch NPD-Fraktionschef Udo Pastörs, sein Vize Timo Müller sowie der der parlamentarische Geschäftsführer, Stefan Köster.
Als der Zug in Pölchow hielt, so Tim Bleis vom Opferverein „Lobbi“, starteten rund 100 Neonazis ihren Angriff: Einige der Rechten versperrten die Notausgänge, andere drangen in den Waggon ein. „An den Haaren haben sie die Leuten raus gezogen und auf sie eingeschlagen“, erzählte wenig später eine 19-Jährige. „In Gruppen prügelten sie auf einzelne ein“, berichtete eine 18-Jährige: „Die Übergriffe filmten sie mit Handys.“
Trotz dieser Vorkommnisse im Zug ließ die Polizei die NPD-Anhänger zu deren Kundgebung davon ziehen. Auf dem Neonazi-Aufmarsch erklärte Pastörs dann prompt, bei den Übergriffen habe es sich um „Notwehr“ gehandelt. Opferberater Bleis zufolge nahm die Polizei keinen einzigen der Aggressoren fest. Vielmehr erklärte ein Polizeisprecher, es sei ja „kein Linker“ verletzt worden. Der selbe Sprecher räumte später ein, „Einzelheiten bewusst zurück gehalten zu haben, um eine Eskalation zu vermeiden“.
Was allerdings auch dazu beitrug, dass den Opfern der Randale – etwa in den Medien – kaum Glauben geschenkt wurde. Irgendwann sprach die Polizei dann doch noch von insgesamt 14 Verletzten. Laut Bleis waren darunter auch bis zur Bewusstlosigkeit Verprügelte. Michael Grewe indes wollten Betroffene bereits an jenem Samstag als einen der Schläger identifiziert haben.
Die politische Karriere des bulligen NPD-Manns begann in der Hamburger Skinhead-Szene. Zusammen mit seinem Bruder Hans betrieb er einen der ersten Szeneläden: „Buy or die“ – „Von der Bewegung für die Bewegung“, so das Motto. Die Brüder veranstalteten Fußballturniere, bei denen bis zu 150 rechtsradikale Skinheads gegeneinander antraten. Im August 1997 fand die Polizei eine Maschinenpistole, einen Karabiner, zwei Pistolen und mehr als 1.000 Schuss Munition in Grewes Wohnung.
Um das Jahr 2000 erwarb der heute Vierzigjährige zusammen mit dem Parteikader und Kameradschaftsführer Thomas Wulff ein Gutshaus im mecklenburgischen Teldau. Hier saß er keine vier Jahre später im Gemeinderat – für die NPD. In der Partei hat Grewe diverse Funktionen inne: Er ist Beisitzer im Landesvorstand sowie stellvertretender Vorsitzender in Westmecklenburg. Die Polizei fahndete anfangs trotzdem nach einem „aus dem Bundesgebiet zugereisten Veranstaltungsteilnehmer“ – mit seinem Foto. Dass erst jetzt Anklage erhoben wird, sagt Staatsanwalt Lückemann, sei einzig der schwierigen Beweislage geschuldet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen