: Militäroffensive in Aceh beschlossen
Kanzler Schröders heutiger Indonesien-Besuch wird von der Nutzung aus Deutschland gelieferter Schiffe für den Aufmarsch des Militärs in Aceh überschattet. Nach dem Zusammenbruch des Friedensprozesses dort wollen Regierungstruppen jetzt angreifen
von NICOLA GLASS (Bangkok)und SVEN HANSEN (Berlin)
Eine Großoffensive des indonesischen Militärs gegen separatistische Rebellen in der nach Unabhängigkeit strebenden Öl- und Gasprovinz Aceh ist laut Indonesiens Minister für Sicherheitsfragen nur noch eine Frage von Tagen. „Die Präsidentin hat beschlossen, eine intergrierte Operation zu starten, und ich erwarte, dass sie in einem Dekret den Zeitpunkt nennen wird,“ sagte Bambang Yudhoyono am spätern Montagabend.
Der Minister, der das im Dezember 2002 geschlossene Waffenstillstandsabkommen mit den Rebellen der „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) bisher befürwortete, änderte selbst kürzlich seine Meinung. Jetzt erwartet er das Dekret von Präsidentin Megawati Sukarnoputri „in den nächsten Tagen“. Zuvor empfängt die Präsidentin heute noch Bundeskanzler Gerhard Schröder in Jakarta.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) forderte den Kanzler gestern auf, gegen den vertragswidrigen Einsatz der von Deutschland gelieferten Schiffe aus früheren NVA-Beständen für den Truppenaufmarsch in Aceh zu protestieren. Die Kohl-Regierung hatte 1994 in einem umstrittenen Deal 39 NVA-Schiffe und damit das Gros der früheren DDR-Kriegsmarine an Indonesien verkauft, offiziell zum Küstenschutz und zur Bekämpfung von Piraterie und Schmuggel.
Laut GfbV wird jetzt ein Teil der Schiffe, die erst kürzlich von der jetzigen rot-grünen Regierung neue Motoren bekamen, vertragswidrig zur Aufstandsbekämpfung in Aceh eingesetzt. „Deutsche Rüstungslieferungen dürfen die Eskalation der Gewalt in Aceh nicht anheizen“, fordert Ulrich Delius von der GfbV.
Am Montag war ein Ultimatum Jakartas an die GAM verstrichen. Die Regierung hatte gefordert, dass die etwa 5.000 Rebellen die Waffen niederlegen und die Forderung nach einem unabhängigen Aceh fallen lassen müssten. Bereits über 30.000 Soldaten sollen sich in der Region an der Nordspitze Sumatras aufhalten. Der vom Genfer Henri-Dunant-Center (HDC) vermittelte Friedensprozess ist jetzt so gut wie tot. 50 internationale Beobachter wurden bereits aus Aceh abgezogen. „Nur ein kleines Fenster ist noch offen, das aber schnell zuschlagen kann“, sagte der vor Ort ansässige HDC-Vertreter David Gorman, der noch etwas Hoffnung hegt.
Auch die Acehnesen klammern sich an jeden Strohhalm. Sie haben die Nase voll vom Krieg. Ganz im Gegensatz zu vielen Indonesiern, von denen die meisten Umfragen zufolge eine Offensive in Aceh zu billigen scheinen. Zu tief sitzt die Angst vor terroristischer oder separatistischer Bedrohung, die von Hardlinern in Regierung und Militär geschürt wird. Aceh dürfte jetzt an den 26-jährigen blutigen Konflikt anknüpfen, in dem bisher 12.000 Menschen starben.
Selbst in den vergangenen Monaten war es zu tödlichen Übergriffen gekommen, doch zumindest auf einem wesentlich niedrigeren Niveau. Ein mutmaßlich vom Militär organisisierter Mob griff im März die Büros der Friedensbeobachter an, die ihren Einsatzradius darauf verringern mussten.
Teuku Samsul Bahri vom Aceh-Büro der indonesischen Menschenrechtsorganisation Kontras machte gestern gegenüber der taz Militär und Rebellen für den Zusammenbruch des Friedensprozesses verantwortlich. Ihn beunruhige, dass die Generäle wie 1999 in Osttimor Milizen aufbauen, die beginnen, die Bevölkerung zu terrorisieren.
Laut Sidney Jones von der International Crisis Group wollten jetzt politische und militärische Hardliner die Gunst der Stunde nutzen, denn sie hätten durch Schmuggelgeschäfte am blutigen Konflikt verdient.
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