piwik no script img

Die Kicker auf dem Kieker

Über die Fußball-EM 2004 in Portugal (12. Juni bis 4. Juli) wird die ARD ausdauernder berichten als jemals über ein anderes Turnier zuvor – und beten, dass die deutsche Elf nicht vorzeitig ausscheidet

AUS KÖLN BERND MÜLLENDER

Heribert Faßbender bekennt mit gewohnt überbordend charmantem Zungenschlag, er habe sein „ ‚Guten Abend allerseits‘ noch nicht ins Portugiesische übersetzt“. Waldemar Hartmann droht spitzbübisch grinsend seinem neuen Gesprächspartner: „Ich werde Marco Bode gnadenlos duzen.“ Der Fußballer Bode ist jetzt Fachanalyst. Kommentator Steffen Simon gibt den TV-Zombie: „Mein Kopf ist in dieser Zeit ein Fußball.“ Und Reinhold Reporter Beckmann mimt jetzt einerseits den Fan: „Ich freu mich wie ein kleines Kind auf die EM.“ Und er ist Nachbarschafts-Ethnologe: „Ich weiß, wie heiß die Holländer sind, es den Deutschen richtig zu geben.“

Wir dürfen also beruhigt sein. Die bewährten Fahrensleute der ARD spielen routiniert humorlos ihre Klischees herunter, 10 Wochen vor ihrem Übertragungsmarathon für die Fußball-Europameisterschaft in Portugal, die ohne Zweifel wieder im nationalen Taumel „aus deutscher Sicht“ (Delling) betrachtet und zersendet wird. 75 Stunden sind geplant – bei der EM 2000 waren es gemeinsam mit dem ZDF noch ganze 94 Stunden. Und da die Zweitäugigen ja auch 2004 dabei sind, blühen uns wohl weit über 100 Stunden Fußball.

Aufregend Neues ist nicht zu erwarten. Experte Günter Netzer (59) sagt, er habe „Angst um seine Frisur“, wie damals bei der „Schweinerei in Malta“. Da nämlich war Sturm, und er, Netzer, stand seitlich, weshalb ihm „die Haare ins Gesicht wehten“. An der bekannt windigen Algarve wird Netzer mit seinem Alter Ego Gerd Delling (45) auch außerhalb schützender Studiowände die mosernden Muppet-Rentner geben, bis Rudi Völler wieder bockt und amokt.

Neu im EM-Team ist Monica Lierhaus (33), die als plaudersichere Bällebraut von Senderabsteiger Sat.1 den Liga-Übertragungsrechten in die ARD gefolgt ist. Die Frau ohne Eigenschaften, die sich wegen roter Mähne und öffentlich-rechtlicher Suberotik pausenlos featurn lässt, will in „Ballkontakt“ gerne „emotionale Geschichten rund um den Fußball“ bieten, und zwar „aus Liebe zu diesem Sport“.

Auf dem Kieker hat die ARD damit vornehmlich weibliches Publikum. Sieben Stunden Zeit wird sie dafür haben, das sind zehn Prozent der Sendezeit. Freundlicherweise wird Reinhold Beckmanns TV-Firma die Talke produzieren. Vorbildlicher ökonomischer Teamgeist. Beckmann (48) droht an, „Beckmann“ werde während der EM nicht ausfallen (Konserve).

Ob Parallelspiele wie vor vier Jahren live bei 3Sat laufen, ist noch nicht ausgemacht. Das liegt am EU-Recht. Als Rechteinhaber müssen ARD und ZDF die Spiele zu marktüblichen Preisen an Nichtrechteinhaber im Free TV zu verkaufen versuchen. Nur wenn das nicht klappt, bleiben die Spiele als Resteware im Kulturkanal.

Neu ist das Hartmann’sche Duz-Opfer Marco Bode. Der eloquente Ex-Kicker von Werder Bremen, den Hartmann (18 Halbe) „einen sehr gescheiten Menschen“ nennt, wird als „ARD-Gesprächspartner“ fungieren. Nicht als „Experte“ wie Netzer. Immerhin hat Lehrling Bode hausintern schon den Ehrentitel „Junior-Netzer“ weg und sagt: „Ich will die Tätigkeit ohnehin nicht in den Mittelpunkt meines Lebens rücken.“

Nicht qualifiziert ist diesmal die freche DFB-Satire „ … die den Adler tragen“ von Tom Theunissen. Seit Teamchef Rudi Völler bisweilen spontan eigene Satire-Sendungen abhält, ist Profispott nicht mehr erwünscht. Die ARD, gibt Heribert Faßbender (162) kühl vor, hätte Theunissens Serie globalisieren wollen: „Wir wollten auch mal eine Geschichte über Beckham oder über die Portugiesen, wie sie den Fado blasen, wenn es zum Titel nicht reicht. Aber dazu“, urteilt der TV-Teamchef barsch, „sah sich Herr Theunissen nicht in der Lage.“ Theunissen, der schon für die EM akkreditiert war, sieht sich kurzfristig rausgekegelt.

Sportlich ist die ARD nur mäßig überzeugt von ihrer Mission. Steffen Simon (39) bekundet euphorisch: „Ich glaube fest an einen Sieg über Lettland.“ Dem Nörgler Netzer schwant bei den deutschen Vorrundengegnern Holland und Tschechien der GAU: „Es kann ganz schnell zu Ende gehen.“

Dann hieße es nicht „Guten Abend allerseits“, sondern gleich „Boa noite para todos“, die ARD könnte den Quoten-Fado blasen – und Kollege Hartmann seinen Kummer in 18 „cerveja clara“ ertränken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen