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Alle sind Verbrecher

Hamburgs Polizeipräsident Udo Nagel fordert präventiven genetischen Fingerabdruck bei allen erkennungsdienstlichen Behandlungen

von KAI VON APPEN

Orwellsche Visionen bei Hamburgs Polizeipräsident Udo Nagel: Er möchte freie Befugnisse für die Polizei bei der Anwendung des umstrittenen „genetischen Fingerabdrucks“. Er plädiert dafür, die so genannte DNA-Analyse als normale Maßnahme der Erkennungsdienstlichen Behandlung (ED) aufzunehmen. „Zum Lichtbild und dem Fingerabdruck bei einer ED-Behandlung gehört auch die Speichelprobe“, sagte Nagel gestern bei der Präsentation des Polizeiberichts 2002.

Nagel hofft damit die Aufklärungsquote der Polizei bei Straftaten erheblich zu erhöhen. „Eine DNA gibt es an jedem Tatort, selbst beim Handtaschenraub.“ Daher dürfe es für die Polizei beim Festhalten des genetischen Fingerabdrucks per Speichelprobe keine Schwelle mehr geben.

Damit verleiht Nagel einer schon totgeglaubten absurden Diskussion, nämlich von jedem Neugeborenen einen genetischen Fingerabdruck zu speichern, wieder neuen Auftrieb. Bislang ist ein Gentest nur bei „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ zulässig und bedarf einer deutlichen Negativ-Prognose, dass der Täter wieder straffällig werde. Unsprünglich war die Aufnahme von Täterdaten in Gendateien nur bei Mord und Sexualverbrechen möglich. Doch das hat bereits die rot-grüne Bundesregierung klammheimlich 1999 mit dem DNA-Änderungsgesetz auf so genannte Katalogtaten ausgedehnt.

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hans-Herrmann Schrader lehnt den Nagel-Vorstoß vehement ab: „Eine solche Generalisierung lehnen alle Datenschutzbeauftragten ab“, mahnt Schrader: „Eine DNA-Analyse ist natürlich ein stärkerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht als das Erstellen eines Lichtbildes.“

Und auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele kann dem Vorstoß nur ein Kopfschütteln entgegenbringen: „Da sind die Maßstäbe ziemlich verrutscht“, erklärt der Jurist. „Die DNA-Analyse ist ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt.“

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