: Anti-Bush oder Anti-Merkel?
Die Union fürchtet, SPD und Grüne wollen sie mit einer populistischen Anti-Bush-Kampagne im Europawahlkampf vorführen. Die Angst ist unberechtigt
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Ausgerechnet Horst Köhler. Ausgerechnet der Mann, der als Bundespräsidentenkandidat vor allem parteipolitische Unabhängigkeit repräsentieren soll, beschert der CDU eine neue Debatte über ein altes, heikles Thema: die Haltung der Christdemokraten zum Irakkrieg.
Köhler war am Donnerstagabend zum Vorstellungsgespräch bei der CDU-Landtagsfraktion in Düsseldorf. In einer Rede über Gott und die Welt ging er unter anderem mit der Irakpolitik des US-Präsidenten scharf ins Gericht. Bush sei ohne klares Nachkriegskonzept in den Feldzug gegangen, sagte Köhler. Die Supermacht habe sich „arrogant“ verhalten und dadurch „schwer wiegende Fehler“ begangen. Man könne den Eindruck gewinnen, den Amerikanern sei ihre „Macht zu Kopfe gestiegen“.
Diese Worte bekommen noch größeres Gewicht dadurch, dass Köhler als IWF-Chef während des Irakkrieges in Washington lebte. Zwar hat sich der Bundespräsident in spe in seinem Vortrag auch dafür eingesetzt, die USA jetzt nicht hängen zu lassen. Deutschland dürfe auf den Freund nicht mit Häme herabblicken, sondern müsse ihn unterstützen. Aber das ändert nichts mehr. Die Schlagzeile steht.
Darüber dürfte sich CDU-Chefin Angela Merkel gar nicht freuen. Sie hatte ihre zögerliche Partei vor anderthalb Jahren mit demonstrativer Führungsstärke auf eine Zustimmung zum amerikanischen Kriegskurs im Irak festgelegt – und hält bis heute daran fest. „Wir müssen jetzt den Blick nach vorn richten“, sagt sie und hofft damit, jede Fehlerdiskussion vermeiden zu können. In der CDU wächst darüber der Frust. Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm wagte sich in der vorigen Woche aus der Deckung. Bushs Feldzug im Irak nannte er „rückblickend gesehen falsch“. In der Frage der irakischen Massenvernichtungswaffen hätten sich „alle geirrt“.
Auch Volker Rühe, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, fordert eine offene Debatte: „Ein Jahr nach dem Krieg wird es Zeit, dass sich die Unionsführung differenziert äußert.“
Das wird die CDU-Spitze heute im Präsidium tun – tun müssen. Denn sie fürchtet sich nicht nur vor einer innerparteilichen Debatte, sondern auch vor einer populistischen Anti-Bush-Kampagne der Regierung im Europawahlkampf. Denn seit George Bushs Wende in der Nahostpolitik vor gut zehn Tagen (siehe Kasten) hat so mancher im rot-grünen Lager den US-Präsidenten endgültig abgeschrieben. Daniel Cohn-Bendit, Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahlen, spricht das offen aus. Bush habe im Irak versagt und tauge auch im Nahen Osten nicht mehr als Vermittler. Sein flammendes Plädoyer: „Wir müssen als Europäer alles ermöglichen, damit diese Bush-Administration im November abgewählt wird.“
Die Außenpolitik ist eines der letzten Felder, auf denen die Wähler Rot-Grün mehr zutrauen als der Union. Natürlich werden SPD und Grüne darauf herumreiten und das Thema „Friedensmacht Europa“ in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes rücken. Aber die Union hat vor einem „zweiten Goslar“ des Kanzlers möglicherweise zu Unrecht Angst. Gerhard Schröder und noch mehr Joschka Fischer haben nur sehr zurückhaltende Kritik an Bushs offener Parteinahme für Israel geübt. Beide wissen: Ohne den amerikanischen Präsidenten geht im Nahostkonflikt nichts, und ein Scheitern Bushs im Irak hätte nicht nur für die Region verheerende Folgen.
„Wir machen keinen Anti-Bush-Wahlkampf“, stellt die grüne Parteichefin Angelika Beer klar. „Wir tun alles dafür, dass Bush abgewählt wird, und dann wird alles wieder friedlich? Das funktioniert so nicht“, meint Beer. „Es ist eine Illusion zu glauben, wir bekämen mit John Kerry eine völlig neue Außenpolitik. Mit Kerry steigt nur punktuell die Hoffnung auf mehr internationale Zusammenarbeit. Mehr aber auch nicht.“
Die SPD-Wahlkämpfer um Spitzenkandidat Martin Schulz bestreiten ebenfalls ganz vehement, eine Anti-Bush-Kampagne zu fahren. Der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen warnt vor einem „emotionalen Überschuss“ einer solchen Kampagne. Und selbst ein SPD-Linker wie Gernot Erler, der Bush im Nahen Osten einen „Kamikazekurs“ vorwirft und eine „Selbstisolierung“ der Amerikaner und Israelis befürchtet, rät davon ab, Bush zum bösen Buben zu machen. Aber an einem lassen alle Sozialdemokraten keinen Zweifel – dass sie im Europawahlkampf eine Frage immer wieder stellen werden: Wo stünde Deutschland heute, wenn Angela Merkel während des Irakkriegs Kanzlerin gewesen wäre? Ihre Antwort ist auch klar: Deutsche Soldaten stünden jetzt mitten im Chaos im Irak.
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