: „Es war eine infantile Reaktion“
Daniel Cohn-Bendit hat die Ausfälle Berlusconis im Europaparlament miterlebt. Er glaubt trotzdem weiter daran, dass der italienische Ministerpräsident zivilisiert werden kann
taz: Herr Cohn-Bendit, vor dem Auftritt Berlusconis vor dem Europaparlament äußerten Sie die Meinung, der italienische Premier müsse und könne zivilisiert werden. Wie steht es jetzt, nach dem Auftritt, um die Zivilisierungschancen?
Daniel Cohn-Bendit: Berlusconi ist ein Egomane, der bei politischen Angriffen auf seine Person um sich schlägt. Seine Zivilisierung scheint sich noch schwieriger zu gestalten, als ich angenommen habe. Die Attacke brach so richtig aus ihm heraus, eine Eruption aus den Tiefen des Gemüts. Es war im Kern eine infantile Reaktion. Das zeigte sich auch bei seinem späteren Entschuldigungsversuch, als er sagte, der Schulz hat doch angefangen. Wie ein Kind, das sich nach einer Schlägerei zu rechtfertigen sucht .
Was hat Berlusconi dazu getrieben, dem Abgeordneten Martin Schulz eine Rolle als KZ-Aufseher anzutragen, ganz so, als ob er einem antifaschistischen Impuls folge?
Im Moment äußerster Wut greifen solche Leute zu den nächstliegenden Stereotypen. Die Italiener sind dann Spaghettifresser, die Spanier Messerstecher, die Polen Säufer und die Deutschen eben allesamt Nazis. Mit Antifaschismus hat das nichts zu tun. Dafür umso mehr mit eingefleischten Vorurteilen – und einem Mangel an politischer Kultur.
Eigentlich seltsam, dass ein Medienunternehmer so wenig die Regeln medialer Auftritte beherrscht.
Ein Medienmogul ist noch lange kein Meister medialer Auftritte. Das hat Berlusconi in Italien hinreichend unter Beweis gestellt.
Wie soll es nach dem Wutausbruch Berlusconis jetzt weitergehen? Gibt es im Europaparlament ein Nachspiel?
Die Abgeordneten, mit denen ich nach dem Eklat sprach, waren allesamt perplex und wütend. Ein Abgeordneter der Alleanza Nazionale, also der ehemaligen Faschisten, war bleich vor Entsetzen. Man kann doch nicht einfach den politischen Gegner als Faschisten beschimpfen, sagte er, der ehemalige Faschist. Bei den italienischen Abgeordneten wird jetzt die Befürchtung laut, man werde für die Äußerung Berlusconis in der Öffentlichkeit in Kollektivhaft genommen, so dass sich die Stereotypen-Spirale weiterdreht. Das gilt es zu verhindern.
War nirgendwo klammheimliche Freude im Spiel, dass es einer den Deutschen mal gezeigt hätte?
Überhaupt nicht.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Berlusconis Attacke und seiner Europapolitik bzw. seinem Verhältnis zu den Institutionen der EU?
Der Witz ist gerade, dass die programmatischen Äußerungen in seiner Rede überhaupt keinen Rückschluss auf sein späteres Ausrasten zulassen. Natürlich hat er durch seine Attacke auf Schulz gezeigt, dass er im Augenblick der Wut demokratische Verkehrsformen beiseite schiebt. Aber daraus folgt nicht, dass in dem Programm, das er vorstellte, eine prinzipielle Geringschätzung der demokratischen europäischen Institutionen zum Ausdruck käme. Natürlich ist Berlusconi eine Gefahr für die Demokratie. Wir werden ihm im Europaparlament entgegentreten. Aber meine Meinung bleibt: Es hat keinen Sinn zu sagen, wir können uns keinen Berlusconi leisten. Wir haben ihn trotzdem.
INTERVIEW: CHRISTIAN SEMLER
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