: Ein tiefer, tragischer Fall
Dem 65-jährigen Lyriker und Liedermacher Kurt Demmler wurden über 200 Missbrauchstaten an sechs minderjährigen Mädchen vorgeworfen. Nun hat er sich dem Prozess entzogen
Der DDR-Nationalpreisträger Demmler soll sich zwischen August 1995 und November 1999 unter anderem an insgesamt sechs Mädchen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren vergangen haben. Die Übergriffe fanden dem Ankläger nach meist bei Castings zu einer Mädchenband in Demmlers Wohnung in Prenzlauer Berg, aber auch in dessen Villa in Storkow statt. Der Angeklagte hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Die Taten liegen zum Teil 13 Jahre zurück.
VON GUNNAR LEUE
Kurt Demmler genoss in Ostdeutschland einen enormen Ruf als Musiker und Komponist. Er war „der erfolgreichste Rocktexter der DDR“, heißt es über Kurt Demmler im „Rocklexikon der DDR“. Er schrieb den Text des Nina-Hagen-Hits „Du hast den Farbfilm vergessen“, aber auch Lyrik für Karat, Renft, Karussell und die frühen Silly. Nebenher trat er mit eigenen Programmen auf. Demmlers Schaffenskraft war doppelt legendär, denn er konnte im Akkord produzieren. Dank dieser Fähigkeit brachte es der studierte Mediziner, der 1976 nach siebenjähriger Arzttätigkeit in Leipzig freischaffender Künstler wurde, auf mehr als 10.000 Texte. Nachdem er 1985 mit „Die Lieder des kleinen Prinzen“ ein hoch gelobtes Album veröffentlicht hatte, bekam er nicht nur das Etikett „Anwalt der Kinder“ verpasst, sondern auch den Nationalpreis der DDR.
Der verdiente Werktätige der DDR-Unterhaltungsindustrie war sich seiner besonderen Fähigkeiten stets sehr bewusst und zeigte sich auch gegenüber der Obrigkeit äußerst selbstsicher. Schon 1976 hatte er gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert, seine Kritik an den DDR-Zuständen brachte ihm Auftrittsverbote ein. 1986, als er von den jungen Bands bereits weniger beachtet wurde, verkündete er seinen Abschied als Deutschrocktexter. Im Herbst 1989 gehörte er trotzdem zu den Unterzeichnern der Rockmusiker-Resolution für gesellschaftlichen Fortschritt. Bei der legendären Großdemo auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 trat er mit seinem Hohnlied auf die Stasi „Irgendeiner ist immer dabei“ auf.
Nicht mehr recht dabei war er nach der Neuordnung des Musikgeschäfts in Ostdeutschland nach der Wende, die auch für ihn einen Karriereknick bedeutete. Es gab weniger Aufträge, weniger öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung. „Ich war noch nie in meinem Leben so dumm rumgestanden“, resümierte er 2005 in einem Interview die damalige Situation. Finanziell hatte er zwar keinen Druck, aber der Rückzug auf ein „eremitenähnliches Dasein in der Mark“ (bei Storkow) machte ihn alles andere als glücklich.
Ende der Neunzigerjahre unternahm er seinen wohl letzten ernsthaften Versuch, noch einmal einen großen Wurf in der gesamtdeutschen Musikszene zu landen. Er hatte aus fünf Teenagerinnen die Mädchenband Zungenkuss zusammengestellt. Unter ihnen war auch Anna Fischer, die heute sehr erfolgreich als Schauspielerin und Sängerin der eigenen Band Panda agiert. „Wir waren eine Kinder-Girlgroup und hatte auch etliche Auftritte, aber als der Erfolg ausblieb, haben wir uns wieder getrennt“, erzählte sie vor kurzem über diese Kurzepisode.
2001 erschien Kurt Demmlers letzte CD „Mein Herz muss barfuß gehen“, ein Best-of-Album mit Liedern wie „Jeder Mensch kann jeden lieben“ und „Dieses Lied sing ich den Frauen“. Projekte mit anderen Künstlern, unter anderem mit Inka, Veronika Fischer, Yvonne Catterfeld und Silbermond, waren stets an Problemen mit den Plattenfirmen oder urheberrechtlichen Auseinandersetzungen (wie bei Silbermond) gescheitert.
Anlässlich des 65. Geburtstages von Kurt Demmler am 12. September sollten Musikerkollegen ein Konzert mit seinen Hits geplant haben.
Da saß er schon in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hatte dem DDR-Nationalpreisträger sexuellen Missbrauch von Mädchen in mehr als 200 Fällen vorgeworfen. Er soll sich zwischen 1995 und 1999 an sechs Schülerinnen im Alter von 10 bis 14 Jahren vergangen haben. Demmler hatte die Aussage verweigert, für den Fall eines Prozesses aber schon die Möglichkeit eines Selbstmords angekündigt Am Dienstag wurde er tot in seiner Zelle aufgefunden.
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