: Die Altlasten der Musentempel
Nicht nur die Böttcherstraße ist von Restitutionsansprüchen jüdischer Alt-Eigentümer betroffen. Darüber hinaus hat das Übersee ein Problem mit menschlichen Exponaten kolonialer Herkunft
Von Henning Bleyl
Wenn in der Böttcherstraße heute über den Umgang mit jüdischem Alteigentum in der Sammlung Roselius diskutiert wird, legt das den Blick auch auf die übrigen Bremer Häuser nah – zumal derzeit die Gründung eines Fonds im Raum steht, der Kunst-Rückkäufe übergreifend ermöglichen soll.
Die Kunsthalle besitzt 1.500 Gemälde, die Herkunft von mehr als der Hälfte wird als überprüfungsbedürftig eingestuft: 756 wurden nach 1932 erworben und vor 1945 gemalt. In die selbe Kategorie fallen 136 Skulpturen, schätzungsweise 8.000 Handzeichnungen und 32.000 Druckgrafiken – in Bezug auf Letztere seien die Klärungsbemühungen aussichtslos, sagt Kustodin Dorothee Hansen. Bei 300 Gemälden wird derzeit im Rahmen der normalen Bestandserfassung die Provenienz überprüft. 2003 hatte die Kunsthalle die Rückgabe von zwei George Grosz-Werken als unbegründet abgelehnt, die angedrohte Klage blieb aus. 2006 beschloss der Kunstverein-Vorstand jedoch auf eigene Initiative, den Erben eines enteigneten jüdischen Kunsthändlers 40.000 Euro zu zahlen: 1935 hatte der damalige Direktor Emil Waldmann die „Madonna mit Kind“ aus dem Umfeld des Venezianers Bartolomeo Vivarini beim berüchtigten Auktionshaus Graupe ersteigern lassen.
2007 verpflichteten sich die Bremer Sammlungsleiter in einer gemeinsamen Erklärung, verstärkt Provenienzforschung zu betreiben. Das Focke-Museum hat daraufhin fünf Objekte aus ursprünglich jüdischem Besitz identifiziert, die Erforschung der Vorbesitzer-Kette der nach 1945 erworbenen Objekte ist allerdings noch offen – und die ursprüngliche Herkunft der vielen per Schenkung ins Haus gekommenen kulturgeschichtlichen Stücke gilt als ohnehin schwer ermittelbar. Die fünf gefundenen Objekte, unter anderem Porzellan, sind nun in die „Lost Art“-Datenbank eingetragen – bislang ohne Reaktion.
Beim Marcks-Haus kennt man die Problematik aus umgekehrter Perspektive: „Wir erhalten relativ regelmäßig Restitutionsanfragen“, sagt Kurator Arie Hartog, bislang hätten sich aber alle als unbegründet erwiesen. Plastiken von Gerhard Marcks waren unter jüdischen Sammlern sehr beliebt, deren Erben klopfen quasi routinemäßig bei der Bremer Marcks-Stiftung an. Hartog: „So weit uns das möglich ist, wurden die Provenienzen aller in Frage kommenden Werke schon in den frühen 70ern geklärt.“
Auch das Staatsarchiv sieht sich in einigermaßen sicheren Schuhen: „Über 90 Prozent unserer Bestände kommen direkt aus den Behörden“ sagt Direktor Konrad Elmshäuser, die Münz- und Kartensammlung sei ohnehin im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Bei der Staats- und Universitätsbibliothek geht es um mehr: 1942 profitierte sie von den „Juden-Auktionen“, der öffentliche Besitz-Verscherbelung der Vertriebenen und Emigranten. 50 Jahre später, in den 90ern, begann man sich um Rückgaben zu bemühen: Von 1.500 Büchern konnten bislang 275 an Eigentümer oder Erben ausgehändigt werden. Im Juni präsentiert sich das Rückgabe-Projekt, das in der Bibliotheksszene bundesweit für Aufsehen sorgte, in einer Ausstellung.
Bleibt die Frage, wie das Thema in den anderen Häusern befördert werden kann. Die Hamburger Kunsthalle hat eine eigene Provenienzforscherin, doch das Plädoyer von Arie Hartog vom Marcks-Haus geht in eine andere Richtung: Wenn die Museen für ihre „normale“ wissenschaftliche Arbeit ausreichend ausgestattet würden, würde die Provenienzforschung als „Selbstverständlichkeit“ aus ihrem Nischendasein heraus geholt. Auch Dorothee Hansen von der Kunsthalle verweist darauf, dass bereits die Erstellung der Bestandskataloge, in deren Rahmen nun peu à peu auch Herkunftsforschung betrieben wird, nur durch extern eingeworbene Mittel möglich sei. Hansen: „Wenn man die Besitzfragen mit Priorität klären will, müssten wir ganz anders ausgestattet sein.“
Die am meisten komplexe Problemlage hat das Überseemuseum: In den Eingangsbüchern wurde bislang zwar kein verfolgungsbedingt entzogenes jüdisches Alteigentum ermittelt, dafür gibt es immer wieder Rückgabebegehren von afrikanischen Ländern in Bezug auf museal ausgestellte menschliche Überreste. Hinzu kommt das Problem der unter kolonialen Zwangsumständen erworbenem Kulturgüter. Nach Auskunft von Direktorin Wiebke Ahrndt wurde das erst in Einzelfällen bearbeitet.
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