: Gefährlich fremd
Geschlechterkampf als Satire: Frank Schirrmacher hat entdeckt, dass die Chefetagen in die Hand des Feindes, vielmehr der Feindin, gefallen sind. Das ist lustig. Und etwas mehr
Sie kommen. Sie dringen in unsere Köpfe ein und in unser Fühlen. Sie verändern uns. „Was heute einer denkt, läuft vorher über ihre Fließbänder“, heißt es. Sie haben lange unter uns gelebt, unerkannt, getarnt. Jetzt werfen sie die Tarnung ab. Man kann sie sehen. Sie sind blond.
Sie heißen Sabine Christiansen, Liz Mohn, Elke Heidenreich und Marietta Slomka. Manchmal sind sie auch brünett: Maybrit Illner. Oder was dazwischen: Angela Merkel. Sie haben sich festgesetzt in der deutschen Öffentlichkeit, und „diese Operation ist sehr viel umfassender als bislang bekannt“, schreibt der Mahner, der uns aufrütteln will. Die Bewusstseinsindustrie ist in ihrer Hand – in der Hand einer Telefonistin, eines Kindermädchen, einer Stewardess. Eine wird sogar öffentlich „Chefin“ genannt. Das Matriarchat ist ausgebrochen. Untrügliches Symptom einer „zerfallenden Gesellschaft“. Und kein Mann in Sicht, der uns retten könnte.
Diese selbstkritische Diagnose des Mitherausgebers der FAZ, Frank Schirrmacher, zu Beginn des Sommerlochs war so amüsant, dass zunächst niemand darauf kam, es könne ernsthaft eine Erwiderung gefragt sein. Dann aber stimmte der Schriftsteller Hans Christoph Buch in der Welt ein in den Bocksgesang. Er muss zusehen, wie „sie“ mit ihrer Geheimtruppe „Fräuleinwunder“ die deutsche Literatur ruinieren. Kuschelliteratur überall und kein ordentlich testosteronhaltiges Kriegsbuch mehr weit und breit.
Nun fühlten sich einige Feuilletonistinnen doch bemüßigt, den Jungs, die anderen die Schuld an ihren Potenzproblemen zuschieben, Bescheid zu stoßen. Es reicht dabei, auf die Realität zu verweisen: dass auch der männliche Außenminister kein Abitur hat, dass Frauen durchaus Standardwerke über Kriege verfassen und einige Verlegergattinnen und Moderatorinnen keineswegs die Bewusstseinsindustrie kontrollieren.
So weit, so abstrus. Leider ist diese Debatte nicht nur lustig. Denn das Paradigma, das ihr zugrunde liegt, ist mitnichten nur im Hirn zweier aus dem Ruder gelaufener Schreiber zu finden. Es regiert, im wahrsten Sinne des Wortes. So erscheint es durchweg allen politischen Kommentatoren unmöglich, dass es in den nächsten Jahren sowohl eine Bundespräsidentin als auch eine Unions-Kanzlerkandidatin geben könnte. Wenn Roland Koch eine Bundespräsidentenkandidatin in Stellung bringen könnte, hätte er damit Merkel als Kanzlerkandidatin verhindert, so das Argument. Zwei Frauen in einflussreichen Positionen? Unvorstellbar. Mit anderen Worten: Das Modell Alibifrau darf nicht durchbrochen werden.
Würde das wider Erwarten doch geschehen, dann stünde uns im politischen Raum jene Debatte bevor, die sich in den letzten Wochen durchs Feuilleton zog: also platteste Vorurteile aus dem Geschlechterkampf. Können Frauen denken? Können Schwule regieren? Sollte Herr Schirrmacher Testosteron auf Krankenschein bekommen? Eine Steinzeitdebatte.
Das Problem dabei ist: Die sich bedroht wähnenden Männchen prügeln unterhalb der Gürtelinie. Würde man das Objekt „Frauen“ in ihren Diskursen durch „Homosexuelle“ ersetzen, hätten wir es mit einem veritablen Skandal zu tun: Homosexuelle sind schuld am Untergang der Kultur, hm. Mit Frauen kann man’s ja machen? Immerhin leben wir theoretisch in einer Republik, die möchte, dass Männer und Frauen ungefähr gleich behandelt werden. Das steht im Grundgesetz – wahrscheinlich ein literarisches Produkt minderer Güte, weil auch nicht so richtig viel Krieg drin vorkommt.
Stattdessen wird die hierarchische Spaltung zwischen den Geschlechtern mal wieder richtig aufgerissen, um sich selbst auf- und den anderen abzuwerten. Die Klischees sausen nur so: Frauen können dies nicht und das doch, Frauen als Chefinnen sind so oder so – und am Ende kriegen sie keinen mehr ab.
Empirisch nachweisen lässt sich dagegen nur eines: Frauen an der Macht machen nur wenig Unterschied. Manche bringen einen teamorientierten Führungsstil mit, andere sind besonders autoritär. Sie sind durch ihre Sozialisation beeinflusst – wie Männer. Ansonsten führen sie gut oder schlecht – wie Männer. Einen Unterschied macht nur, was ihnen alles zugeschrieben wird – im Gegensatz zu Männern. Diese Zuschreibungen schleifen sich erst mit der Zeit ab. Nämlich dann, wenn alle (auch Frauen, übrigens) sich daran gewöhnt haben, dass auch Frauen führen. Dafür müsste natürlich erst einmal eine relevante Zahl in diesen Posten angekommen sein. Solange das nicht so ist, geht es den Menschen offenbar wie mit allem Neuen: Es macht Angst.
Eine ehe männliche Reaktion ist wohl, dass man diese Angst mit Kampf und Hierarchisierung zu verarbeiten sucht: Wenn die Frauen sichtbar werden, dann wollen sie uns ans Leder. Dann wollen sie die ganze Macht, uns verbieten, uns töten, wie Schirrmachers dunkle Anspielungen auf Männermörderinnen wie Klytämnestra und Charlotte Corday nahe legen.
Warum fangen intelligente Menschen plötzlich an, mit Hinkelsteinen zu werfen? Zum Beispiel Schirrmacher, der das menschliche Genom in der FAZ veröffentlicht hat. Eine unendliche Zahl von GATTACA-Kombinationen ist möglich, bei Männern und Frauen. Sie können also, jenseits des Geschlechts, sehr unterschiedliche Eigenarten haben – ist ihm das entgangen? Zudem soll er mit einer Frau verheiratet sein, wahrscheinlich spricht er sogar manchmal mit ihr. Wie findet die es eigentlich, zu einer Gattung von Aliens zu zählen, die Deutschland den Untergang bescheren?
Kleiner Realitätsabgleich: Was tun denn die „mächtigen“ Frauen? Es gibt weiterhin die Bundesliga, obwohl doch Frauen die Bewusstseinsindustrie „dominieren“, und noch nicht mal Hans-Christoph Buch wird daran gehindert, einen Kriegsroman von Dante’scher Qualität zu schreiben. Es hat sich nur herausgestellt, dass es entgegen bisherigen Annahmen Frauen gibt, die etwas können. Sie wollen nicht „die Macht“, sie wollen nur interessante Posten mit Einfluss, wie viele andere Menschen. Sie wollen auch keinesfalls „die Männer“ vertreiben. Nein, Heidenreich wirbt gern für männliche Autoren, Christiansen erntete die zweifelhafte Auszeichnung „saure Gurke“ dafür, dass sie fast ausnahmslos Anzug-Runden mit Alibidame moderiert. Die Ängste, die sie schon damit wecken, zeigen, in welcher Panikhölle einige Männer in diesem Lande leben. Was würde in Schirrmachers Kopf passieren, wenn es eine Bundespräsidentin und eine Kanzlerkandidatin gäbe?
Wir würden wohl einiges zu lachen bekommen. Aber danach könnte eine heilsame Normalisierung eintreten. Wenn auch nur einer der Posten mit einer Frau besetzt würde, dann würde vielleicht auch Prophet Frank sehen, dass sie nicht beißt, nicht den Klimawandel beschleunigt oder ihm nichts abschneiden will. Die frohe Kunde würde sogar bis Frankfurt schallen: Frauen sind auch nur Menschen. Die gute Nachricht wäre dann: Diese unterirdische Debatte war die letzte ihrer Art. HEIDE OESTREICH
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