piwik no script img

Monolog im Zeitalter des Handys

Das Bezirksamt Neukölln und vier Mobilfunkunternehmen laden zu Informationstagen über eventuell gefährliche Strahlungen durch Handys. Auch kritische Wissenschaftler kommen ausführlich zu Wort. Nur die geladenen Neuköllner erscheinen nicht

von SEBASTIAN HEISER

Christoph Hey zittert vor Aufregung. Das Bezirksamt Neukölln und die vier deutschen Mobilfunkfirmen haben geladen zu den ersten Mobilfunktagen, die eben mit der Podiumsdiskussion anfingen. Das Motto ist „Mobile Welt – Fragen und Antworten“. Und Christoph Hey hat eine Frage: Warum sind die Grenzwerte für Mobilfunk in anderen Ländern niedriger als in Deutschland? Statt einer Antwort bekommt er eine rüde Abfuhr vom Neuköllner Gesundheitsstadtrat Michael Freiberg (CDU): „Die Organisation dieser Veranstaltung liegt bei mir! Sie können ihre Fragen gleich in den Einzelgesprächen an die Referenten stellen, eine Debatte in dieser großen Runde ist nicht vorgesehen.“ Hey ist jetzt empört: „Man gibt sich hier den Anschein, die Bürger einzubeziehen, möchte sie aber eigentlich nur belehren.“

Dabei haben die Mobilfunkkonzerne und das Bezirksamt sich richtig viel Mühe gegeben: Neben Industrievertretern sind auch kritische Stimmen auf dem Podium versammelt. Getränke und belegte Brote stehen bereit. 50 Bürger können in ihren Wohnungen kostenlos elektromagnetische Felder messen lassen. 100 Schüler dürfen zweiwöchige Praktika in den Mobilfunkfirmen machen. Allein die Bürger fehlen. Nur 70 hören zu im Rathaus Neukölln. Davon sind rund die Hälfte aus beruflichen Gründen hier, weil sie in einer Bezirksverwaltung arbeiten oder Parlamentarier sind.

Man fürchtet sich vor allem vor dem, was man nicht kennt. 61 Millionen Menschen in Deutschland haben inzwischen ein Handy. Und die Mobilfunkunternehmen haben noch nie verstanden, warum sie bei der Debatte um die Gefahren der elektromagnetischen Felder im Zentrum des Interesses stehen – obwohl ihre Emissionen im Vergleich zu den Werten, die von Radio, Fernsehen, Polizei- und Amateurfunk kommen, nicht der Rede wert sei.

Doch die Bürger, die Angst vor den „Handy-Killerstrahlen“ haben, sind heute nicht gekommen. So haben sie verpasst, wie Wolfgang Weiss vom Bundesamt für Strahlenschutz von „einer Reihe von Experimenten mit biologischen Befunden“ spricht. Oder wie Rudolf Fitzner von der Uniklinik Benjamin Franklin erklärt, er habe bei Experimenten durch eine Frequenz der GSM-Handys ausgelöste DNA-Brüche und Mutationen gefunden: „Keiner kann ausschließen, dass es diese Laboreffekte auch im realen Leben gibt, zumal dort noch Vorschädigungen und andere Effekte hinzukommen.“ Die Wirkung fand Fitzner bei einer Intensität von 1,3 Watt pro Kilo Körpergewicht. Aber eine Wirkung ist noch keine Schädigung, sagt Fitzner. Außerdem strahlen Handys weit unter dem Grenzwert, sagt der Siemens-Mitarbeiter Walter Konhäuser. Auch Weiss möchte seine „biologischen Befunde“ nicht überinterpretiert sehen: „Es ist völlig klar, dass dabei kein Krebs entstehen kann.“ Andere Effekte auf die Zelle seien aber noch teilweise unerforscht.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert daher: Nur wer nachweisen könne, dass Gesundheitsbeschwerden auszuschließen sind, dürfe Sendeanlagen betreiben. Über die langfristigen Wirkungen sei zu wenig bekannt. Das Bundesverfassungsgericht jedoch urteilte: „Eine Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen besteht nicht.“

So muss jeder Bürger selbst entscheiden, wie ernst er das hypothetische Restrisiko nimmt. Am ersten Tag der Neuköllner Mobilfunktage haben sich jedoch nur drei Bürger für eine kostenlose Messung der Felder in ihrer Wohnung gemeldet.

Mobilfunktage heute noch von 9 bis18 Uhr. Ort: Rathaus Neukölln, Karl-Marx-Straße 83, Altbau, zweiter Stock

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen