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Erst outen, dann beichten

Bedingt durch den Präsidentschaftswahlkampf, wird die Diskussion um die Homoehe in den USA als Kulturkampf geführt. Die Liberalisierung der Gesellschaft schreitet derweil langsam voran

AUS PHILADELIPHIA THILO KNOTT

Die ganze Familie hatte sich um James McGreevey geschart. Als der Gouverneur vergangenen Donnerstag vor den Menschen im Staat New Jersey, ja vor der ganzen Nation, sein Coming-out hatte, stand seine Ehefrau Dina an seiner Seite und lächelte. Auch McGreeveys Eltern waren zur Pressekonferenz gekommen. Sie hörten seine Worte: „Ich bin ein schwuler Amerikaner.“ Sie hörten, dass er eine Affäre hatte mit Golan Cipel, dem McGreevey selbst in den Staatsdienst verholfen hatte. Sie hörten aber auch, wie er seine Frau um „Vergebung“ und „Gnade“ dafür bat, die „eheliche Bande verletzt“ zu haben – „das war falsch, das war dumm, das ist unentschuldbar“.

Die Szene hatte etwas Doppelbödiges: Im Moment seines Coming-out, in dem Moment, als sich McGreevey zu seiner Homosexualität recht mutig bekannte, trat er doch gleichsam zur Beichte an. Seiner religiösen Rhetorik stand das Bekenntnis zu einer anderen US-amerikanischen „Bibel“ namens Verfassung gegenüber. Nämlich in „der besten Nation zu leben, mit einer Tradition der bürgerlichen Freiheiten, der größten bürgerlichen Freiheiten auf der Welt“.

Die Rede McGreeveys ist durchaus als Momentaufnahme des derzeitigen Stands im Prozess der Selbstverständigung einer bürgerlichen Gesellschaft wie der USA zu verstehen. Das Thema Homosexualität und Homoehe ist dabei nur das meistumstrittene Feld in diesem Präsidentschaftswahlkampf, bei dem sich immer gegen überstehen: die heilige Bibel Gottes und die heilige Verfassung der USA.

Gleiches gilt in der Auseinandersetzung um die Homoehe in San Francisco, wo am Tag der Rede McGreeveys 4.000 Homoehen für ungültig erklärt wurden. Befürworter wie Bürgermeister Gavin Newsom verweisen darauf, dass es „diskriminierend ist, zehntausenden Paaren das Recht auf Heirat zu verwehren“. Dagegen führen die Opponenten ihre traditionellen Moralvorstellungen ins Feld. „Wir müssen uns an gesellschaftliche Regeln halten, die sich – wie unser Eheverständnis – seit tausenden von Jahren bewährt haben“, sagte etwa der Anwalt Douglas Lively. Ein endgültiges Urteil über die Homoehe steht noch aus. Das Gericht stellte lediglich formal fest, Newsom habe mit der Ausgabe von Ehelizenzen Befugnisse überschritten; zur Legalität der Homoehe selbst äußerte es sich nicht.

Auch in der momentanen Wahlkampfauseinandersetzung zeigt sich das unterschiedliche Verständnis. Präsident George W. Bush, der die Homoehe per Verfassungsänderung verbieten lassen will, im Senat aber scheiterte, sagt: „Die traditionelle Ehe ist unabdingbar für die Gesundheit der Gesellschaft und die Grundlage einer ordentlichen Gesellschaft.“ Der demokratische Herausforderer John Kerry sagt, er persönlich sei zwar auch gegen die Homoehe, doch „man sollte nicht aus politischen Gründen mit der Verfassung spielen“.

Kerrys vorsichtige Argumentation zeigt, dass er Bush das religiöse Feld nicht allein überlassen kann und will: Das Thema Homoehe dient Bush im Wahlkampf vor allem der Mobilisierung jener 80 Prozent weißer, evangelikaler Protestanten, die ihn schon 2000 gewählt hatten. „Die Bibel irrt nicht“ ist der Slogan ihrer Gesinnung.

Andererseits schreitet die Liberalisierung der US-Gesellschaft, wenn auch langsam, durchaus voran: „Für die Arbeit als Gouverneur macht es keinen großen Unterschied, ob ich schwul bin“, sagte McGreevey fast schon programatisch. In den letzten Jahren wurden Politiker (wieder)gewählt, die offen zu ihrer Homosexualität standen, so die Demokratin Tammy Baldwin aus Wisconsin, so die republikanischen Kongressabgeordneten Jim Kolbe (Arizona) und Steve Gunderson (Wisconsin).

Auch vor Gericht konnten die Schwulen-und-Lesben-Bewegungen Erfolge feiern: In Massachusetts zum Beispiel, wo der Oberste Gerichtshof im November des vergangenen Jahres die Eheschließung von homosexuellen Paaren für rechtmäßig erklärte. Diesem Urteil hat sich Anfang August dann auch ein Richter im Staat Washington angeschlossen.

Allerdings gab es auch Niederlagen: Eine große Mehrheit hat sich in Missouri per Volksabstimmung gegen die Homoehe ausgesprochen. Weitere Referenden stehen an: so am Präsidentschaftswahltag (2. November) in Arkansas, Georgia, Kentucky, Mississippi, Montana, Oklahoma, Oregon und Utah.

Die Ereignisse der letzten Woche waren also kein Rückschlag für die Befürworter der Homoehe, wie von den Gegnern behauptet. Es waren Momentaufnahmen eines kulturellen Kampfes, der in vollem Gange ist und die Gemüter noch lange beschäftigen wird.

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