: Moskaus Sprache der Gewalt
AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH
Die Befreiung der Geiseln in Beslan gibt Rätsel auf. Reagierten die russischen Sicherheitskräfte auf eine unvorhergesehene Situation, wie es der offiziellen Darstellung entspricht, oder war der Sturm von langer Hand geplant? Noch am Morgen hatte der nordossetische Inlandsgeheimdienst FSB eine gewaltsame Befreiung ausgeschlossen und Gespräche angekündigt. Präsident Putin versicherte am Vorabend, die Rettung der Geiseln sei oberstes Gebot. Russlands Öffentlichkeit reagiert auf offizielle Stellungnahmen misstrauisch. Von Beschwichtigungsversuchen lässt man sich nicht einlullen und liest aus solchen Äußerungen eher das Gegenteil heraus. Die Wahrheit wird wohl nie ans Licht kommen.
Der Sturm war nur eine Frage der Zeit und folgte der Logik des Tschetschenienkriegs, der sich seit Putins Amtsübernahme von einem regionalen zu einem gesamtrussischen Konflikt ausgeweitet hat. Gewähr dafür, dass er nicht noch weitere Kreise zieht, gibt es nicht. Die Verknüpfung mit dem internationalen Terrorismus, die zu Kriegsbeginn nicht mehr als ein Hirngespinst des Kreml war, kann demnächst sehr reale Formen annehmen.
Im Interesse des Staates hat Moskau kaltblütig das Leben seiner Bürger geopfert. Mit Menschenleben geht Russland großzügig um. Eine Sichtweise, die sich auch in den Berichten des staatlichen Fernsehens widerspiegelte, die jede menschliche Anteilnahme vermissen ließen.
Die Unaufrichtigkeit des Krisenstabs zeigte sich darin, dass von Anfang an bewusst falsche Angaben über die Zahl der Geiseln gemacht wurden. Offiziell sollten es 350 gewesen sein, tatsächlich befanden sich aber über 1.000 Geiseln in der Schule. So lässt sich jede Opferstatistik schönen: Zwanzig Prozent tote Geiseln gelten unter Terrorexperten als gelungene Operation. Dieses Ergebnis wird Moskau auch präsentieren. Ob man nun Wahlergebnisse in Tschetschenien fälscht oder Opferzahlen.
Gewalt ist die Sprache, mit der der Kreml glaubt, die Kaukasusregion befrieden zu können. Moskau beharrt darauf, die Tschetschenen in die Knie zu zwingen. Nicht erst in den letzten fünf Jahren hat sich dieses Vorgehen als unbrauchbar erwiesen, die zweihundertjährige gemeinsame Geschichte belegt die Unbeugsamkeit dieses Volkes. Die Geiselbefreiung ist daher nur ein Auftakt zu neuen, noch brutaleren Terrorakten. Nicht nur weil die Gewaltbereitschaft der Tschetschenen aufgrund historischer Erfahrungen hoch ist. Viele Tschetschenen, unter ihnen der vertriebene Präsident Aslan Maschadow, verurteilten die Geiselnahme von Beslan. Kinder zu instrumentalisieren, ist auch im Kaukasus ein Tabu. Sie fragen aber, warum hat die Welt mit unseren Kindern kein Mitleid? Eine ehrliche Antwort fällt schwer. Solange die Weltgemeinschaft sich um eine klare Position drückt, können Rebellen, Separatisten und auch Terroristen mit Unterstützung in Tschetschenien rechnen. Natürlich verabscheuen sie Gewalt gegen Kinder, aber der Krieg relativiert die Maßstäbe.
Der Schlüssel liegt in Moskau, das sich in Grosny auf eine kriminelle Statthalterclique stützt und die Menschen täglichem Terror aussetzt. Gibt es eine moralische Scheidelinie zwischen individuellem tschetschenischem und russischem Staatsterror? Auf beiden Seiten der unsichtbaren Front stehen sich Menschen gegenüber, die sich in ihren Denkweisen ähneln. Der Wahhabit und Terrorist Schamil Bassajew, dessen Todesbrigade „Rijadus Salichin“ in Beslan zuschlug, ist ein gewissenloser Bandit, der als Agent des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in den 90er-Jahren sein Handwerk erlernte. Unzählige Ungereimtheiten sind mit seinen Aktionen verbunden, so dass russische Zeitungen schon vermuteten, zwischen ihm und dem FSB bestünden weiterhin Kontakte. Beide Seiten verdienen an dem Krieg.
Es gibt in Moskau keine Tradition, Konflikte im Dialog auszutragen. Russland kennt auch im Umgang mit dem eigenen Volk nur die Sprache der Gewalt. Dem fügen sich die Tschetschenen nicht. Unterwürfigkeit und Angst vor Autoritäten ist ihrer Gesellschaft fremd. Der Kreml-Chef kann damit nicht umgehen. Es gelingt ihm auch nicht, Hass und Ablehnung zu verbergen. Entscheidend aber ist, dass Putin sich einer Gewaltlösung verschrieben hat. Wiche er davon ab, würde er in der Öffentlichkeit und bei den ihn stützenden Sicherheitsstrukturen das martialische Image verlieren.
Auch wenn eine gewaltsame Befreiung von vornherein feststand, hätte Putin durch Verhandlungen mehr Leben retten können. Für Helden ist im Kreml aber kein Platz. Der ehemalige Präsident von Inguschetien, Ruslan Auschew, hatte bewiesen, dass man auch mit Terroristen reden kann. Am Donnerstag war er aus freien Stücken in die Schule gegangen und konnte 26 Geiseln befreien. Auschew, ein ehemaliger General aus dem Afghanistankrieg, ist dem Kreml jedoch ein Dorn im Auge. Er forderte Moskau im Kaukasus zur Mäßigung auf, bis der Kreml ihn im Dezember 2001 aus dem Amt jagte und einen hörigen KGB-Mann, Murat Sjiasikow, in manipulierten Wahlen an die Macht hievte. Seither brennt auch in Inguschetien der Boden. Auschew hatte noch einen unverzeihlichen Fehler begangen, indem er sich für Gräueltaten der russischen Armee in Afghanistan entschuldigte. Mäßigung und Selbstkritik passen nicht in das Weltbild der nach wie vor sowjetischen Sicherheitskräfte, die an den Schaltstellen der Macht sitzen. Solange Russland nicht bereit ist, die Ursachen des Konflikts anzuerkennen, wird Gewalt eskalieren. Das garantieren die Sicherheitskräfte, die das Land im Würgegriff halten, ohne es im Griff zu haben. Bei der Terrorprävention hat der Geheimdienst kläglich versagt, niemand wird den FSB indes zur Verantwortung ziehen. Das könnte nur Wladimir Putin. Den haben sie aber fest im Griff.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen