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Verdacht aus Bauch

Zwei AktivistInnen für den Erhalt des Schanzenparks stehen vor Gericht. Beide sollen Bekennerbriefe zu Sachbeschädigungen verbreitet haben, um Firmen vom Wasserturm-Hotelbau abzuhalten

VON KAI VON APPEN

Amtsrichter Andree Peters ist für Hauruck-Prozesse bekannt und offenkundig von sich selbst überzeugt. Mit der Bemerkung, „es gibt nur eine richtige Rechtssprechung – und das ist meine“, fegte Peters einen Antrag der Verteidiger Andreas Beuth und Marc Meyer vom Tisch. Die hatten in dem Verfahren gegen die GegnerInnen des Mövenpick-Hotels im Schanzenpark, Claudia F. und Jörg M., ein „Verwertungsverbot“ für ein Überwachungsvideo gefordert. Obwohl dieses rechtswidrig aufgenommen worden war, hatte es das Verfahren überhaupt erst möglich gemacht. Mit diesen Vorgehen ignoriert Peters höchstrichterliche Rechtsprechung.

Jörg M. war am 27. Oktober 2005 in einem Internet-Café an der Barmbeker Straße gefilmt worden, ohne dass Warnschilder auf die Überwachungskamera hingewiesen hatten. Zu dieser Zeit soll vom Café aus ein Bekennerschreiben an die Hamburger Morgenpost gesandt worden sein, in dem es um eine Aktion gegen die am Hotelbau beteiligte Kernbohrer-Firma Engel ging. Hotelgegner hatten zwei Tage zuvor Firmenfassade und -fahrzeuge mit Farbe beschmiert. Die Mopo übergab das Schreiben dem Staatsschutz, der ermittelte das Internet-Café als Absender.

Mit Fotos aus dem Video legte sich der Staatsschutz beim nächste Treffen des „Netzwerkes für den Erhalt des Schanzenparks“ auf die Lauer vor einer Kneipe in der Marktstraße, ohne die Staatsanwaltschaft zu informieren. Dabei erkannten die Fahnder Jörg M. als den Mann aus dem Internet-Café. Sie observierten ihn, als er bei der Haspa am Schulterblatt Geld abhob, und ließen sich tags drauf vom Geldinstitut persönliche Daten geben.

Jörg M. und seine Kontaktpersonen wurden fortan rund um die Uhr beschattet – auch als M. am 25. November 2005 ein Internet-Café an der Rothenbaumchaussee aufsuchte. Am frühen Morgen dieses Tages hatten Unbekannte bei 13 Betonmischern der am Hotelbau beteiligte Firma Lebbien Reifen zerstochen. Kurz nachdem M. das Café wieder verlassen hatte, fragte der Staatsschutzfahnder Jan R. bei Mopo-Polizeireporter Sascha Balasko nach, ob vielleicht gerade ein Bezichtigungsschreiben zur Lebbien-Aktion eingegangen sei. Als Balasko den Erhalt eines Schreibens bestätigte, – „Beton, kommt darauf an, was man daraus macht“ – wurde M. an seinem Arbeitsplatz festgenommen. Bei ihm soll ein handschriftlicher Zettel mit dem Wortlauf der Schreibens gefunden worden sein. Seine Wohnung wurde gefilzt.

„Es gibt keine Anhaltspunkte auf eine Täterschaft an den Sachbeschädigungen“, räumte Staatsschützer Jan R. vor Gericht ein. Ein Gutachten habe ergeben, dass M. auch nicht der Verfasser des Schreibens gewesen sei. „Es gibt keine Hinweise auf den geistigen Verfasser.“ Dennoch kam es R. damals in den Sinn, M.s Lebensgefährtin Claudia F. zu verdächtigen. „Das ist die Kühnheit des Verdachts“, sagte R. dem Gericht. „Ein individuelle Verdachtsschöpfung aus dem Bauch.“ Nun war auch F. im Visier. Ihr Teil der gemeinsamen Wohnung wurde durchsucht, um Schriftproben zu sammeln – mit nur mäßigen Erfolg.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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