: Die Links-Liberalen sind aufgewacht
In den USA deutet sich ein Meinungsumschwung an: Angesichts der Schwierigkeiten im Irak sinken die Umfragewerte für George W. Bush ständig, während die Opposition erstarkt. Doch es ist zu früh, den Präsidenten schon ganz abzuschreiben
aus Washington MICHAEL STRECK
Sind Bücherläden Vorboten einer politischen Wachablösung? Wer sich heute auf den Tischen mit Neuerscheinungen der großen US-amerikanischen Buchhäuser umschaut, der erhält eine klare Botschaft: „Bush is bad.“ Selten gab es so viele Bücher, die vor offener Feindschaft und Ablehnung des US-Präsidenten und seiner konservativen Agenda strotzten.
Auch in den Mainstream-Medien scheint sich ein Stimmungswechsel anzukünden. Plötzlich wird Politik-Rebell Michael Moore in Talkshows eingeladen. Zeitungen drucken Leserbriefe mit der Frage: „Wann gibt Bush endlich zu, einen Fehler gemacht zu haben?“ Die Redakteure der Meinungsseite der Washington Post sahen sich gezwungen, ihren Lesern eine ganzseitige Begründung zu liefern, warum der Irakkrieg immer noch gerechtfertigt sei. „Erfolg ist weiterhin möglich“, schrieben sie zurückhaltend, doch nur wenn die Regierung die Dimension der Herausforderung realisiere, allen politischen Mut und diplomatisches Geschick aufbringe, um die Aufgabe im Irak zu meistern. Doch genau danach mangelt es.
Die in der letzten Woche hastig gestartete PR-Kampagne der Bush-Regierung, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren, wurde von Ignoranz beherrscht. Vize Dick Cheney schaffte es in einer Rede, Gewalt und Chaos im Irak völlig auszublenden. Präsident George W. Bush machte am Montag in Interviews für US-Regionalsender die Presse für die schlechte Stimmung verantwortlich. Sie verzerre die Situation im Irak und fokussiere auf den Terror. Bush setzt lieber die rosa Brille auf und predigt weiter von großartigen Fortschritten.
Überdies befindet sich die Regierungsmannschaft im Kleinkrieg. Pentagon und Außenamt streiten vor laufender Kamera um die Kompetenzen beim Wiederaufbau, und der Präsident muss stets beteuern, dass er nach wie vor die Hosen anhat im Weißen Haus. „It's Iraq, stupid“, mahnt Jim Hoagland in der Washington Post und fordert, dass jemand diese Einsicht Bush und seinem Kabinett 20-mal am Tag einhämmern sollte. Ungeduld und Unbehagen haben einen Punkt erreicht, dass selbst moderate Republikaner, wie der Vorsitzende des Außenpolitischen Senatsausschusses Richard Lugar, Bush mangelnde Führungskraft attestieren.
Die Schwäche der Regierung spiegelt sich in der wachsenden Stärke der Opposition wider. Die Rhetorik der Demokraten wird aggressiver. „Amerika ist heute unsicherer als vorher“, schimpft Präsidentschaftskandidat John Kerry. Der Vorwurf sitzt tief, trifft er doch Bushs Rettungsargument, dass der Irakkrieg die USA immerhin sicherer gemacht habe, auch wenn er die Invasion mangels gefundener ABC-Waffen und Bagdad–al-Qaida-Verbindung immer weniger rechtfertigen kann. Wenn morgen Wahl wäre, würden 47 Prozent der US-Amerikaner für einen Demokraten votieren, nur 46 Prozent für Bush, ergab eine neueste Umfrage.
Nun werden in den USA Umfragen so häufig veröffentlicht wie Börsenzahlen, und je nach Fragestellung und politischer Gesinnung des beauftragten Instituts fallen die Ergebnisse mal mehr oder weniger optimistisch für Bush aus. Doch der Trend ist klar: Seine Zustimmungswerte haben sich um die 50-Prozent-Marke eingependelt.
Für Larry Sabato von der University of Virginia handelt es sich daher bei dem zu beobachtenden Meinungsumschwung zunächst einmal um die Wiederbelebung eines politischen Spektrums: „Das linksliberale Lager ist aufgewacht.“ Die Irakkrise half der Opposition, ihre Angriffsstarre zu überwinden. Der beginnende Wahlkampf hat den Ton verschärft, und die Aussicht, Bush schlagen zu können, lässt die Demokraten nur noch hemmungsloser in ihrer Kritik werden.
Bush abzuschreiben sei jedoch völlig verfrüht, sagt Sabato. „So sehr er von den demokratischen Stammwählern verabscheut wird, so sehr kann er auf die volle Unterstützung der Republikaner setzen.“ Die spenden weiter rekordverdächtige Wahlkampfsummen und werden trotz täglicher Nachrichten über getötete US-Soldaten im Irak so schnell nicht auf die Barrikaden gehen. „Von einem zweiten Vietnam sind wir noch weit entfernt“, glaubt Stephen Hess vom Brookings Institut in Washington.
So trügt die Stimmung, wenn es um Mehrheiten gegen Bush geht. Doch die Rückkehr zur gespaltenen Gesellschaft, wie sie vor und nach den Wahlen 2000 bis zum 10. September 2001 existierte, macht das Rennen um den Einzug in das Weiße Haus wieder völlig offen.
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