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BND-Chef Hanning sieht Irak im Chaos

Sicherheitskonferenz kritisiert Politik der USA. Nicht nur politische Gruppen, sondern zunehmend die organisierte Kriminalität führt Kriege. In muslimischen Ländern wachsende antiwestliche Stimmung. Innenminister Schily will mit Werten überzeugen

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Wäre ein offizieller Gastredner aus den USA bei der internationalen Konferenz des Bundesnachrichtendienstes zur „Globalisierung von Terrorismus und organisierter Kriminalität“ in Berlin aufgetreten, er hätte sich ziemlich unwohl gefühlt. Denn der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes, August Hanning, zeichnete in Berlin ein Bild vom Stand der Dinge im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und der Sicherheitslage im Irak, das Fragen über die Politik der Regierung in Washington aufwirft.

Rund eineinhalb Jahre nach Beginn des Irakkrieges drohe das Land im „Chaos“ zu versinken, warnte der BND-Chef. Wenn der Irak zu einem Raum ohne staatliche Autorität verkomme, drohe eine weitere „Brutstätte“ für den internationalen Terrorismus. Besorgt ist Hanning auch über die Frage, was im allgemeinen Tohuwabohu derzeit aus jenen Waffenexperten wird, die bis vor einiger Zeit auf hohem Niveau für Saddam Hussein an Atomwaffenprogrammen forschten: „Wer macht sich ihr Wissen nutzbar?“, fragte der BND-Chef. „Der internationale Terrorismus?“ Zur Beruhigung taugt die Antwort des obersten Geheimdienstmannes nicht: „Wir wissen es nicht.“

Auch der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, war ratlos: „Wir stehen hier vor völlig offenen Fragen.“ Seine Furcht: Das Know-how könnte gegen die Koalitionstruppen im Irak eingesetzt werden.

Im Irak beobachtet der BND laut Hanning seit einiger Zeit zudem eine neue Qualität in der Zusammenarbeit von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Beide bildeten eine „gefährliche Schnittmenge“, Terroristen nutzen die Wege der Schleuser, die Mittel der Passfälscher. Fast zwei Drittel der jüngsten Entführungen im Irak waren nach BND-Schätzung kriminell und nicht politisch motiviert.

Für die Zukunft entscheidend ist laut Hanning der Kampf um die „Köpfe und Herzen“ der Menschen in der islamischen Welt. Ziel müsse es sein, den Menschen in der Region eine wirtschaftliche und soziale Perspektive zu verschaffen. Sonst blieben die Botschaften von Ussama Bin Laden und seinen Anhängern attraktiv. Allerdings tritt die internationale Staatengemeinschaft bei ihrem Werben um Sympathien im arabischen Raum nach Ansicht des BND-Chefs bestenfalls auf der Stelle. Seine Bilanz: „Ich sehe in den muslimischen Ländern eine weiter wachsende, generell antiwestliche Stimmung.“

Für die Gründe fand Hanning deutliche Worte: „Luftangriffe sind keine Bekämpfungsweise, die dazu führt, dass die Sympathien für Terroristen abnehmen.“ Und: Wenn bei der Bevölkerung ein Gefühl der Demütigung geweckt werde, sei dies der ideale Nährboden für Organisationen wie al-Qaida.

Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) rief bei der Konferenz dazu auf, sich im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht nur auf den Sicherheitsaspekt zu konzentrieren. Anders als in klassischen Kriegen gehe es nicht darum, Schlachten zu gewinnen: „Wer auf Gewalt nur mit Gewalt zu antworten weiß, wird auf Dauer nicht erfolgreich sein.“ Entscheidend sei auch die Vermittlung von Werten wie Freiheit und Toleranz. „Unsere Glaubwürdigkeit hängt aber davon ab, ob wir uns auch selbst an die Werte halten“, warnte Schily. Der zweifellos „schlimmste Rückschlag“ seien hierbei die Bilder von den Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten gewesen. Der Innenminister befürchtet: Die Folter-Bilder von Abu Ghraib könnten eine „verheerende Langzeitwirkung“ haben.

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