piwik no script img

„Überflüssig in diesem Land“

Ein Reserveoffizier macht Ernst: Als ihm das Arbeitsamt einen 1-Euro-Job zuweist, gibt er seine Orden zurück

AUS LÖNINGEN KAI SCHÖNEBERG UND MICHAEL JUNGBLUT (FOTOS)

Am Hallenbad im niedersächsischen Löningen sieht jetzt alles picobello aus. Andreas Szramka hat die Dachrinnen gesäubert, das Herbstlaub akkurat aufgeschichtet, das Unkraut mit seinem Messer aus den Bodenkacheln gekratzt, die steinernen Fahrradständer mit Akopatz geschrubbt. Und die Kinder der nahen Grundschule freundlich angegrinst, als sie ihn fragten: „Wie, die Bundeswehr putzt jetzt die Gosse?“

Szramka trug für seinen ersten Job seit zwei Jahren und zehn Monaten seinen alten Bundeswehr-Pulli – es gab ja keine Arbeitskleidung, auch keine Einweisung. Nichts. Szramka sagt: „Gerade die öffentliche Hand muss sich doch an die Grundpflichten eines Arbeitgebers halten. Man kann doch niemanden zum Heckescheren ohne Arbeitshandschuhe schicken!“

Wenn das nur alles wäre. Es geht um mehr als eine Frage der Ehre für den ehemaligen Manager und hochdekorierten Reserveoffizier der Bundeswehr. Zwölf Jahre hat Szramka als Zeitsoldat gedient, zuletzt als Kompaniechef im 2. Transportbataillon in Lippstadt. Dann war er Betriebsleiter eines Versand- und Produktionsbetriebes mit 40 Mitarbeitern in Bielefeld, hat sich um einen Jahresumsatz von 25 Millionen Euro gekümmert. 15 Monate lang. Aber dann. „Dann kam nichts mehr, rien.“

Jetzt hat Szramka gehandelt. „Heute bekam ich durch die Bundesagentur für Arbeit – eine Bundesbehörde – die Zuweisung einer 1-Euro-Beschäftigung als Reinigungsunterstützung in einem Hallenbad“, schrieb er in einem Brief an seinen ehemaligen Dienstherrn, den Bundesminister der Verteidigung. „Ich bin der festen Überzeugung, dass in diesem Land – und ich bin nur ein Gesicht von vielen – topqualifizierte Führungskraftpotenziale vergeudet werden und ungenutzt bleiben.“ Der Konflikt, in den sein Gewissen mit der „herrschenden Moral“ gekommen sei, sei zu „unaufhebbar – ja tragisch“ geworden. „Ich war gern Soldat, Offizier und Menschenführer für mein Land“, so Szramka an Peter Struck. Deshalb erklärte er den „Widerruf meines 1988 auf die Bundesrepublik Deutschland geleisteten Diensteides. Ich weise die Beförderung zum Major der Reserve aus dem Jahr 2002 zurück. Weiterhin händige ich Ihnen die zu meiner aktiven Dienstzeit verliehenen Orden und Ehrenzeichen aus: Ehrenkreuz der Bundeswehr und Oderflutmedaille des Landes Brandenburg“.

Nach 200 Bewerbungen, sogar beim Arbeitsamt und selbst bis nach Frankreich und Polen, hat Szramka aufgehört zu zählen. Er ist nur einer von 4,257 Millionen, die auf einen Job warten. Viele sind enttäuscht vom Arbeitsmarkt, enttäuscht von ihrem Leben. Szramka ist enttäuscht von Deutschland. Das Land hat etwa 450.000 Euro in ihn gesteckt, in die Fortbildungen, das mit „gut“ abgeschlossene BWL-Studium an der Bundeswehr-Universität, aber „wenn es in Deutschland keine Arbeit gibt, bin ich überflüssig in diesem Land“.

Er ging nicht zu den Montagsdemonstrationen, hat nichts gegen Hartz IV, nichts gegen den inquisitorischen Fragebogen, den Antragsteller für das Arbeitslosengeld II ausfüllen müssen. Auch wenn der ihn, seine ebenfalls arbeitslose Frau und die zwei kleinen Kinder vielleicht um ihr Häuschen bringt. „Ich habe doch zwölf Jahre für das Gesetz gerade gestanden“, sagt der Diplomkaufmann. Zwölf Jahre hat Szramka Loyalität bewiesen, damit Deutschland läuft. Jetzt ist Deutschland nicht loyal zu ihm. Im Gespräch an diesem Mittag in der Nähe von Cloppenburg ist der 36-Jährige mehrmals den Tränen nahe. Szramka schluckt, beugt sich nach vorn, fragt: „Wenn die mir nicht mal einen Schreibtischjob zuweisen – was machen die erst mit den Minderqualifizierten?“

Das Gleiche. Sozusagen als Testlauf für Hartz IV bieten die Arbeitsagenturen derzeit rund 100.000 Ein-Euro-Jobs an: als Helfer in der Altenpflege, als Vorleser im Kindergarten oder eben als Reiniger im Schwimmbad. Erst ab Januar wird es Sanktionen geben, wenn Arbeitslose diese „zumutbaren“ Jobs ablehnen. „Das sind Arbeitsgelegenheiten, keine Arbeitsplätze“, sagt der Sprecher der Landesarbeitsagentur Niedersachsen-Bremen, Michael Klinke. Sie sollen „Langzeitarbeitslose überhaupt wieder an eine geregelte Tätigkeit heranführen“. Deshalb könne auch niemand erwarten, adäquate Stellen zu bekommen.

„Die sind wie ein Kropf“, sagt Szramka mit überschlagender Stimme – und meint die Agentur. Keines der Angebote als Personalreferent, als Controller, als Projektmanager habe auch nur in eine Probezeit gemündet. Behörden können keine Stellen schaffen, das weiß auch Szramka. Aber menschlich sein, das können sie doch. Oder?

Immerhin hat das Verteidigungsministerium prompt geantwortet: Struck „bedauere“ Szramkas Entscheidung, hieß es in einem Formbrief. Als nach einer Woche als Hilfsreiniger der Bademeister eines Morgens gesagt habe, man brauche ihn jetzt nicht mehr, hat es ihm dann wieder fast den Boden unter den Füssen weggezogen: „Beim Bund habe ich bei 200 Rekruten jeden Tag darauf geachtet, dass die Würde stimmt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen