piwik no script img

Ballermann bleibt vorerst billig

Der Reiseriese TUI muss Sechsjährigem kein Schmerzensgeld wegen Terroranschlag in Tunesien zahlen, urteilt das Landgericht Hannover. Seit September 2001 gehörten Attentate im Urlaub zum „allgemeinen Lebensrisiko“. Kläger kündigt Berufung an

AUS HANNOVERKAI SCHÖNEBERG

Die TUI-Aktie setzte gestern um kurz vor zehn zu einem Freudenhüpfer an. Es bestehe „seit dem 11. September ein allgemeines Lebensrisiko, als westlicher Tourist Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden“, hatte gerade das Landgericht Hannover geurteilt. Und damit die Schmerzensgeldklage des 6-jährigen Adrian Esper abgewiesen, der bei einem Ausflug auf die tunesische Halbinsel Djerba schwer verletzt worden war. Reiseveranstalter müssten nicht explizit vor der Gefahr von Anschlägen warnen. Die seien aus den Medien bekannt, urteilte das Gericht.

Als am 11. April 2002 ein mit Flüssiggas gefüllter Tankwagen vor der Synagoge „La Ghriba“ explodierte, starben nicht nur 22 Menschen. Es begann auch der juristische Kampf von Adrians Vater Michael Esper, der mit Frau und Sohn eine Reise bei der TUI-Tochter 1-2-Fly gebucht hatte. Esper gegen Europas größten Reisekonzern, David gegen Goliath. Adrians Haut verbrannte zu vierzig Prozent, er ist schon 30-mal operiert worden, „die Ärzte gehen davon aus, dass er noch 40 bis 50 Operationen braucht, bis er erwachsen ist“, berichtete der Vater gestern. Für ihn geht es darum, das Trauma zu verarbeiten. Aber es geht auch um viel Geld.

Espers gründete den „Deutschen Opferbund Djerba e.V.“, dessen Geschäftsführer er heute ist. Und er engagierte den Berliner Anwalt Andreas Schulz, der in einem 100 Seiten dicken Dossier Belege sammelte, um die TUI-Tochter 1-2-Fly auf 100.000 Euro Schmerzensgeld und monatlich 800 Euro Rente zu verklagen. 350.000 Euro hat Adrian bereits aus dem Opferfonds der Bundesregierung und von tunesischen Hoteliers erhalten. Das sei nicht genug, findet die Familie. Ihr Anwalt ist auch kein Unbekannter. Schulz vertritt unter anderem die New Yorker Angehörigen von Opfern des 11. September im Hamburger Al-Motassadeq-Prozess. Er sagt an diesem Tag der Niederlage, das Urteil sei „eine Carte Blanche für die Reisebranche“, sich auch künftig nicht um die Bedrohung ihrer Kunden durch den internationalen Terror zu scheren. Der Anwalt behauptet, TUI hätte nicht ausreichend über ein möglicherweise bevorstehendes Attentat informiert. Sein Mandant Esper sagt: „Ich würde mir definitiv überlegen, bei der TUI demnächst Pauschalreisen in arabische Länder zu buchen.“ Er kündigt an, in Berufung zu gehen, „notfalls auch bis vor den Bundesgerichtshof“. Er wolle ja mit dem Prozess „das Reisen sicherer machen“.

Die TUI reagierte erleichtert und kündigte an, für die sieben betroffenen Kinder eine Ausbildungsversicherung in Höhe einer sechsstelligen Summe abzuschließen. Vorstand Volker Böttcher hatte vorher gedroht, ein Urteil gegen den Konzern hätte „das Ende der Pauschalreise bedeutetet“. Er meinte damit: Sollte TUI in höherer Instanz unterliegen, müssten womöglich alle Kunden gegen Terror versichert werden. Ob Ballermann oder Djerba – solche Policen würden das Reisen erheblich verteuern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen