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Weg frei für die Forschung an Behinderten

Wer begreift schon, um was es in der Genforschung geht. Wer es nicht begreifen kann, der muss künftig nicht mehr gefragt werden, wenn mit seinen Genen experimentiert wird

BERLIN taz ■ Der Entwurf zum Gentestgesetz ist ganz nach dem Geschmack der Forschungslobby. Nicht nur, weil sie darauf hoffen kann, dass eine schon länger von ihr beklagte Gesetzeslücke nun geschlossen wird – Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist den Interessen der Forscher auch sehr weit entgegengekommen.

Und dabei steckt die Tücke im Detail, vor allem in den Ausnahmen, die das Gesetz zulässt. Grundsätzlich nämlich ist eine genetische Untersuchung zu Forschungszwecken laut dem Entwurf nur erlaubt, wenn eine „informierte Zustimmung“ vorliegt, die betroffene Person also ausdrücklich und schriftlich eingewilligt hat sowie vorab über die Forschungsziele, den Umfang der Analysen und mögliche Risiken aufgeklärt wurde. Außerdem hat der Gen-Spender ein Widerrufsrecht, etwa wenn er das Forschungsprojekt später nicht mehr für ethisch vertretbar hält – alle Daten und Proben müssen dann sofort vernichtet werden. Diese Regeln entsprechen den internationalen Standards für Arzneimitteltests am Menschen, wie sie schon die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Bundestages Gesundheitsministerin Ulla Schmidt als Maßstab empfohlen hatte.

Doch das Papier aus ihrem Haus geht weit darüber hinaus. Denn „sind die genetischen Proben und Daten anonymisiert“, soll die informierte Zustimmung nicht mehr notwendig sein. Gleiches gilt, wenn zum Beispiel mit Material aus bestehenden Biobanken geforscht werden soll. Auch wenn es nicht mehr möglich oder zu aufwändig ist, eine nachträgliche Zustimmung einzuholen – bei Leuten, die mehrfach umgezogen sind etwa –, soll darauf verzichtet werden können. In diesem Fall darf sogar mit personenbezogenen Daten gearbeitet werden.

Und noch eine vierte Ausnahme enthält der Entwurf: Wenn es „für die Darstellung der Forschungsergebnisse unerlässlich ist“ und bei einer Abwägung das wissenschaftliche Interesse das des Genspenders überwiegt, möchte die Gesundheitsministerin sogar, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten erlaubt ist.

Mit dieser Regelung wäre es dann durchaus möglich, dass ein Patient Jahre später zufällig erfährt, dass eine nur in seinem Erbgut vorkommende, seltene Gensequenz von der ihn einst behandelnden Klinik zum Patent angemeldet worden ist. Das entspricht zwar der derzeitigen Praxis im Forschungsalltag, kommt aber trotzdem einer teilweisen „Enteignung“ nahe. Denn nur der Patentinhaber darf die Gensequenz wirtschaftlich nutzen. Und dann stellt sich noch die Frage, inwieweit bei Blut- oder Gewebeproben überhaupt eine vollständige Anonymisierung möglich ist, denn über das individuelle Erbgut ist mittels genetischen Fingerabdrucks immer eine Zuordnung der Person möglich.

Auf Kritik wird auch der Versuch des Gesundheitsministeriums stoßen, „besonders schutzwürdige Personen“ der fremdnützigen Forschung zugänglich zu machen. Gemeint sind damit all jene, die nicht in der Lage sind, „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ der genetischen Untersuchung zu erkennen. Darunter fallen Säuglinge und demente Alte genauso wie geistig Behinderte oder psychisch Kranke. Weil sich in der Bioethikkonvention des Europarates von 1996 eine ähnliche Formulierung findet, hat die Bundesrepublik Deutschland dieses Papier bis heute nicht unterzeichnet. Zu groß waren seinerzeit die Proteste. Jetzt kommt das Ansinnen mit dem Gendiagnostik-Gesetz wieder auf den Tisch. WOLFGANG LÖHR

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