: Interpretierbare Vereinbarung
KIEW taz ■ Andrei sitzt hustend auf dem Schlafsack in seinem Zelt im Herzen Kiews. Er sendet seiner Frau in Lemberg eine SMS. „Komme bald nach Hause“, schreibt er.
Am Mittwochabend hatte EU-Außenkoordinator Javier Solana nach einem langen Verhandlungstag im Kiewer Marienpalast mit dem amtierenden Präsidenten Leonid Kutschma und den beiden Konkurrenten der Stichwahl, Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch und Herausforderer Wiktor Juschtschenko verkündet, es sei ein Kompromiss gefunden worden, der aus der Krise führen könnte. In dem von Kutschma verlesenen Kompromisspapier einigen sich die Parteien darauf, keine Gewalt anzuwenden, die Regierungsarbeit nicht weiter zu blockieren und eine wirtschaftliche Krise des Landes zu unterbinden. Ferner beinhaltet der Kompromiss eine „Paketlösung“, die ein neues Wahlgesetz, eine Reform der Verfassung und die Bildung einer neuen Regierung auf Basis dieser neuen Regelungen vorsieht.
Grundlage der Verfassungsänderung soll ein Gesetzesentwurf sein, den die Regierung schon im Sommer eingebracht und den die Opposition damals abgelehnt hatte. Er sieht vor, die Macht des Präsidenten zu Gunsten von Ministerpräsident und Parlament zu beschneiden. Eine solche Reform wird von Experten zwar als dringend notwendig erachtet, in Kiew derzeit aber vor allem als Versuch des amtierenden Präsidenten Kutschma gewertet, sich seinen Einfluss zu sichern. Er entzöge dem Präsidentenamt Einfluss für die Zeit, in der er es nicht mehr inne habe.
Das Kompromisspapier, dass vor allem auf Drängen des polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski zu Stande gekommen sein soll, spricht von einer „Vollendung der ukrainischen Präsidentenwahl“ – ein Terminus, der sowohl die von der Opposition gewünschte schnelle Wiederholung des zweiten Wahlgangs als auch die von Kutschma gewünschte komplette Neuwahl ermöglicht. Darüber verhandeln wollen die Konfliktparteien nach dem Spruch des Obersten Gerichtshofes, der für heute erwartet wird, laut Gesetz aber spätestens am nächsten Mittwoch fallen muss. Als Zeitrahmen für eine Lösung des Konfliktes nannte Javier Solana „ungefähr einen Monat“.
Der Kiewer BWL-Student Wasili war auf seinem gestrigen Weg zum Kiewer Unabhängigkeitsplatz bester Dinge. „Du wirst sehen“, sagte er, „noch vor Weihnachten haben wir einen neuen Präsidenten.“ HH
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