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Ein deutscher Mythos in der Midlife-Crisis

Die Stiftung Warentest wird von Verbrauchern geliebt, von Unternehmen gefürchtet – und heute 40 Jahre alt. Dabei sind die Qualitätsstifter keineswegs so immun gegen wirtschaftliche Krisen, wie ihr Image als solide deutsche Institution vermuten lässt

VON MATTHIAS URBACH

Anfangs war der Warentest nichts Selbstverständliches. Die deutsche Industrie nahm für sich in Anspruch, ohnehin nur Qualität zu produzieren. Zudem sei der Verbraucher „durch Werbung in ausreichendem Maße unterrichtet“, erklärte Ende der Fünfziger der Bundesverband der Deutschen Industrie. Warentests behinderten den freien Wettbewerb, behaupteten die Bosse und zogen gegen die ersten Tests des Magazins DM vor Gericht. Erst 1962 sorgte das Landgericht Düsseldorf für rechtliche Klarheit. Zwei Jahre später beschloss der deutsche Bundestag, heute vor vierzig Jahren, die Gründung einer unabhängigen Stiftung Warentest.

Inzwischen urteilen die Warentester nicht nur über die Versprechen der Markenartikler, sie sind selbst eine Marke geworden. Vier von fünf Bundesbürgern haben ein „hohes Vertrauen“ in die Stiftung. Sie gilt den Deutschen nach einer Forsa-Umfrage damit als die vertrauenswürdigste Institution. Vertrauenswürdiger nach als Rotes Kreuz, Greenpeace oder die Gerichte.

Bei der Wirtschaft ist ihr Urteil gefürchtet. Aldi ließ einmal Multivitaminsaft zurück zum Hersteller karren, nachdem die Tester ihn als „überzuckert“ bewertet hatten. BASF bezifferte den Schaden durch ein Testurteil für seine Videobänder einst auf 20 Millionen Euro. Regelmäßig ziehen die Bemängelten gegen die Stiftung vor Gericht – wie nun auch Uschi Glas. Doch noch nie musste die Stiftung Schadenersatz zahlen.

Image: „Sehr gut“

Gerne nehmen Firmen dagegen ein positives Urteil aufs Etikett, das zuweilen in der Größe gar die eigene Marke überstrahlt. Ein positives Urteil ist so lukrativ, dass viele Firmen gewissen Versuchungen nicht widerstehen können: So pappte die Chemie-Firma Mellerud auf ihren „Schimmel-Vernichter“ das Urteil „sehr gut“ in der Kategorie „Wirksamkeit“ – obwohl das Gesamturteil der Tester bloß „ausreichend“ war. Und Lidl warb unerschrocken mit dem Qualitätslabel „gut“ für sein Olivenöl, obwohl sie den Inhalt ihrer Flaschen längst gegen schlechteres Öl ausgetauscht hatten. Seit November letzten Jahres hat der Verbraucherbundesverband (vzbv) 101 Firmen wegen solcher Irreführungen abgemahnt – darunter auch Namen wie Bosch und Sony.

Von der qualitätsstiftenden Arbeit der Warentester profitieren selbst Kunden, die nie einen Test gelesen haben – sie ist eine Macht, ihr Urteil unanfechtbar. Doch unerschütterlich ist die Stiftung keineswegs.

Das fängt damit an, dass sie gar keine richtige Stiftung ist, da sie nicht über ein Stiftungskapital verfügt. Bei ihrer Gründung bekam sie gerade mal 400.000 Mark Startkapital. Die Idee war, dass sie sich selbst aus den Einnahmen ihrer Veröffentlichungen tragen sollte. Das ist ihr – trotz aller Beliebtheit – nie gelungen. Für die Stiftung ist das auch schwerer als für andere Blattmacher, schließlich sind ihre Hefte Test und Finanztest aus Gründen der Unabhängigkeit frei von Anzeigen. Die Anzeigen machen bei normalen Magazinen aber rund zwei Drittel des Erlöses aus. Heute stammt etwa ein Achtel des Budgets der Stiftung vom Bund – rund 6,5 Millionen Euro pro Jahr.

Außerdem verliert das Test-Heft, das derzeit die Hälfte der Einnahmen sichert, seit Jahren kontinuierlich an Auflage. Die Bundesbürger informieren sich viel eher in Zeitungen, Magazinen und Fernsehen, die die Testurteile zitieren, als aus den Heften der Stiftung selbst. Während es kurz nach der Wiedervereinigung durch den Boom im Osten „an der Millionengrenze schnupperte“, wie sich Test-Chefredakteur Hubertus Primus erinnert, liegt die Auflage jetzt bei ernüchternden 605.000.

Dabei nimmt der Entscheidungsdruck zu: Telefonanbieter, Stromversorger, Altersrente – immer öfter muss der Kunde unter immer komplizierteren Angeboten auswählen. Doch die Warentester kämpfen mit einer alternden Leserschaft und einem sich ändernden Informationsverhalten. „Früher haben die Leser einen Schuber bestellt“, erzählt Primus, „die Hefte reingestellt und nach Bedarf nachgeschaut.“ Heute ändern sich die Produkte so schnell, dass es kaum noch einen Sinn macht, ein Heft länger aufzubewahren. Primus hat die Abläufe im Haus beschleunigt: Schnellere Tests, späterer Druck. Die Abokurve fällt nicht mehr so stark, aber sie fällt weiter: Ein Drittel der Abonnenten sind bereits pensioniert, das Durchschnittsalter liegt bei knapp 54 Jahren.

Dabei ist der Einfluss von 40 Jahren Stiftung heute deutlich spürbar. Die „Geiz ist geil“-Welle ist, genau genommen, auf dem Mist der Warentester gewachsen. Jahrzehntelang haben sie uns mit ihren Tests darüber aufgeklärt, dass Qualität nicht unbedingt teuer sein muss, dass No-Name-Produkte häufig besser sind als Markenware. Zwar muss das Heft genauso oft vor Schundschnäppchen warnen, wie es Aktionsware von Discountern empfehlen kann – beim Durchschnittskunden kommen solche Feinheiten nicht an.

Lange gerierte sich die Stiftung in ihrer Konzentration auf den Gebrauchswert von technischen Gütern etwas träge. Sie verschlief vor allem den Ökotrend – weshalb ihr vor 19 Jahren mit der Zeitschrift Öko-Test erstmals Konkurrenz ins Haus stand. Das Versäumnis schmerzt die Stiftung noch heute. Test, Finanztest – ein eigenes Ökotest „würde wunderbar dazupassen“, sagt Primus, der auch Geschäftsführer der Stiftung ist. Zumal sich gerade die Test-Hefte am besten verkaufen, die sich mit Schadstoffen in Lebensmitteln befassen: Kein Titel ging seit 1996 so gut wie der über Honig, in dem die Stiftung Arzneimittelrückstände fand.

Damit nicht genug: Öko-Test verpasste sich inzwischen ein neues Konzept, testet vermehrt technische Geräte – wildert also im klassischen Bauchladen von Test. Mit Erfolg: Verkaufte Öko-Test vor sieben Jahren noch 90.000 Exemplare, sind es nun 190.000.

Nun hat sich zum 40. Jahrestag die Stiftung mit einer Neuerung hervorgewagt, die eigentlich von Öko-Test hätte stammen müssen: Erstmals überprüfte sie fürs Dezemberheft auch die sozialen und ökologischen Umstände, unter denen ein Produkt hergestellt worden ist. Zunächst Wanderjacken – Lachse und Waschmittel sollen folgen. Zu Zeiten der Globalisierung „liegt dieses Thema auf der Straße“, sagt Primus.

Doch noch ist nicht klar, ob es weitere Tests dieser Art geben wird. Im Mai 2003 wagten sich österreichische Warentester mit ihrem Blatt Konsument mit einem solchen Test von Joggingschuhen vor, rechtzeitig zum Wiener Marathon. Doch das Heft verkaufte sich schlecht wie selten. „Wir haben die Erfahrungen der Österreicher im Hinterkopf“, sagt Primus.

Konkurrenz: „Befriedigend“

Der neue Ansatz muss sich schon in Auflage widerspiegeln, denn die Tests der Produktionsweise sind sehr teuer. Aus Kostengründen hatte die Stiftung Ende der Neunziger schon ihre Autotests nach kurzer Zeit wieder aus dem Programm genommen. Schließlich kauft die Stiftung grundsätzlich jedes Produkt anonym ein, anstatt sich – wie andere Blätter – direkt vom Hersteller mit womöglich frisierten Presseexemplaren versorgen zu lassen.

Der Charme der Test-Hefte bestand immer auch darin, eine Art kommentierter Warenkatalog zu sein. Freilich gibt es inzwischen gerade im Video-, Foto- und Computerbereich zahllose Billigmagazine, die das genauso gut können – damit aber die jüngeren Leser erreichen. Und: Was dort getestet wird, orientiert sich selten am Leser, eher an den Bedürfnissen der Anzeigenkunden. Während etwa Computerhefte stets die neueste und teuerste Hardware testen, wies die Stiftung Warentest erst vor kurzem nach, dass es für den Normalnutzer auch ein PC für 500 Euro tut.

Die jüngeren Kunden erreicht die Stiftung inzwischen besser übers Internet, etwa mit Schnelltests von Aktionsware wie Trolleys bei Tchibo oder Elektrorasierer bei Plus. Mit den teilweise nur gegen Gebühr einsehbaren Tests im Netz verdiente die Stiftung vergangenes Jahr 1,2 Millionen Euro, Tendenz stark steigend: „Die nächsten 40 Jahre Stiftung Warentest entscheiden sich im Netz“, prophezeit Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen.

Und noch eine andere Maßnahme könnte entscheidend sein: Endlich ein eigenes Stiftungskapital, wie es die Chefin vom Verbraucherdachverband (vzbv), Edda Müller, gestern erneut forderte. Bund, Länder, vor allem aber die Wirtschaft solle das Geld aufbringen. Schließlich, so Müller, hätten die „qualitätsorientierten Unternehmen jahrzehntelang von der hervorragenden Arbeit der Stiftung profitiert“.

Auch die Stiftung selbst hat schon mehrfach bei der Verbraucherministerin vorgefühlt, ob sie die nötigen 120 bis 150 Millionen Euro mit einer Privatisierung aufbringen dürfe, um endlich vom Tropf der Regierung befreit zu sein. Doch die Grüne ließ sich nicht erweichen. „Dabei“, heißt es im Haus der Stiftung Warentest, „könnte sich Frau Künast damit unsterblich machen“.

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