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Schwarz-Schill am Ende, Schill noch nicht

Hamburgs Bürgerschaft macht den Weg für Neuwahlen frei. Vorzeitige Beendigung der Wahlperiode nach turbulenter Debatte einstimmig beschlossen. Ex-Senator Schill drohte mit Wiederauferstehung. Kita-Nachtragshaushalt verabschiedet

VON GERNOT KNÖDLER und SVEN-MICHAEL VEIT

Es ist offiziell vorbei. Einstimmig hat die Hamburger Bürgerschaft gestern Nachmittag das vorzeitige Ende der Wahlperiode beschlossen. Nach fast vierstündigem und teilweise turbulentem Schlagabtausch stimmten alle sechs Fraktionen geschlossen dem Antrag von CDU und FDP zu. Auch die erstmals im Parlament in Erscheinung tretende Ronald-Schill-Fraktion votierte für die Beendigung von Schwarz-Schill. Als Wahltermin wird der Senat auf seiner Sitzung nächsten Dienstag formell den 29. Februar 2004 festlegen.

Ammenmärchen

„Der Fisch stinkt vom Kopf her“, rief SPD-Oppositionsführer Walter Zuckerer als erster Debattenredner ein Sprichwort in Erinnerung. Und meinte damit, dass Ole von Beust als CDU-Bürgermeister „die politische Verantwortung für das Handeln des gesamten Senats“ trage und somit auch für Ex-Senator Ronald Schill und das Scheitern der Koalition. Und die habe nur „erbärmliche Ergebnisse, Peinlichkeiten und politischen Dilettantismus“ vorzuweisen, hielt Zuckerer dem Regierungschef vor. Die Union hinterlasse „einen politischen Scherbenhaufen und einen Niedergang des Ansehens Hamburgs“. Der Bürgermeister stehe vor „dem politischen Konkurs“, weil er die Stadt „von einem unberechenbaren Mann abhängig gemacht“ habe. Schwarz-Schill sei ein Bündnis, so Zuckerer, „das mit einer Missgeburt begann und krank endet“.

Auch GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch ließ „diese Seifenoper aus Treueschwüren, Sex, Lügen und Intrigen“ ausführlich Revue passieren, die der Rechts-Senat der Stadt geboten habe. Ole von Beust als „erster Steigbügelhalter Schills“ habe Hamburg international geschadet, meinte auch Goetsch. Und berief sich unter anderem auf die New York Times, die Hamburgs Abschiebepolitik „anprangerte“. Der Ruf, den die Koalition hinterlasse, so Goetsch, „ist der, gnadenlos und intolerant zu sein“.

Für die Koalition mühten sich deren Fraktionschefs, die Erfolgsbilanz ihrer Regierungszeit herunterzubeten und der Opposition die Regierungsfähigkeit abzusprechen. Norbert Frühauf (Ex-Schill) bedauerte zudem, dass „persönliche Eitelkeiten zum Ende dieser Regierung führten“. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) beteuerte, „als Einziger“ Schill „klare Grenzen gesetzt“ und zur Sicherung von Bürgerrechten „Rückgrat gezeigt“ zu haben. Und Michael Freytag (CDU) schaffte es gar, jede Mitschuld an dieser Rechts-Koalition von sich zu weisen. SPD und GAL seien wegen ihres Versagens „die Ammen, die Schill genährt haben“. Deshalb habe „die SPD dafür die Verantwortung und wir keine Angst vor der Neuwahl“.

Letzte Akte

Vor dem Auflösungsbeschluss hatte die Bürgerschaft noch rasch zwei Themen behandelt. Vertreter der Regierungskoalition räumten Fehler bei der Einführung des Kita-Gutschein-Systems ein. FDP-Bildungssenator Reinhard Soltau und der CDU-Abgeordnete Marcus Weinberg versprachen eine fünfte Betreuungsstunde und eine Vollversorgung für Berufstätige. Warum sie dann nicht gleich einem entsprechenden Gesetzesvorschlag der GAL zustimmten, warf der grüne Abgeordnete Willfried Maier ein.

Soltau verwies auf die Arbeit einer Lenkungsgruppe, deren Ergebnis Ende Januar die Grundlage für ein solches Gesetz liefern solle. Der vom Senat eingebrachte Nachtragshaushalt über 20,2 Millionen Euro wurde einstimmig angenommen. Er soll verhindern, dass 4.000 Eltern für die letzten Monate des Jahres 2003 die Vollkosten ihrer Kita-Plätze tragen müssen.

Den bis nach der Neuwahl aufgeschobenen Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) bezeichnete Gesundheitssenator Peter Rehaag (Ex-Schill) als alternativlos. Nun werde er um ein Jahr verzögert und der Schuldenberg des LBK auf mehr als 600 Millionen Euro wachsen. Anders als von der Gewerkschaft ver.di behauptet, sei der LBK „ein krankes Unternehmen, das auf Kosten des Steuerzahlers weiterlebt“, schimpfte Wieland Schinnenburg (FDP). Matthias Petersen (SPD) warf dem Senat vor, er habe bei den Verkaufsverhandlungen „ein mageres Ergebnis“ erzielt. Grundsätzlich sei gegen den Verkauf eines Minderheitsanteils nichts einzuwenden, sofern der Senat weiterhin die Behandlungsmöglichkeiten bestimme. Dietrich Wersich (CDU) erklärte das für unrealistisch: „Wer investiert, will auch die Verantwortung für die Geschäftsführung übernehmen.“

Der Untote

Als auch der Bürgermeister das Wort ergriff, sagte er kein einziges über Schill. Der SPD attestierte er „Provinzialität“ und „unhanseatischen Sprachgebrauch“. Er selbst werde, versicherte von Beust, „guten Mutes und aufrechten Hauptes“ vor die Wähler treten. Zuvor hatte Schill treuherzig „bedauert“, dass „wegen einer Personalie der Bürger-Senat den Bach runtergegangen ist“. Er sei vom Bürgermeister „als ein Unbequemer entsorgt“ worden, aber niemand solle sich zu früh freuen. „Totgesagte“, drohte Schill im Hinblick auf die Neuwahl, „leben länger“.

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