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Ideologisch gefestigter Funktionär angeklagt

Claus Cremer, stellvertretender Vorsitzender und Landtagskandidat der NPD, ist vor dem Bochumer Landgericht wegen Volksverhetzung angeklagt. Cremer gilt als Verbindungsmann zwischen Partei und militanten Neonazis

BOCHUM taz ■ Einer der führenden Neonazis des Ruhrgebiets wird Gast am Bochumer Landgericht. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat gegen Claus Cremer, den stellvertretenden Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen NPD, Anklage wegen Volksverhetzung erhoben. Cremer hatte am 26. Juni auf einer erst nach langem Rechtsstreit vom Bundesverfassungsgericht genehmigten Nazidemo in Bochum Juden in den Zusammenhang mit Kindesmissbrauch gestellt. Jetzt droht ihm eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren.

Cremer hatte hatte vor 200 Gesinnungsgenossen eine Passage aus dem jüdischen Talmud, nach der ein missbrauchtes Mädchen bis zum Alter von drei Jahren als unschuldig zu gelten hat, zur antisemitischen Hetze genutzt. Wenn in den Synagogen gelehrt werde, dass Mädchen ab drei Jahren zum Geschlechtsverkehr geeignet seien, sei das Demo-Motto „Keine Steuergelder für den Synagogenbau – für Meinungsfreiheit“ zu milde gewählt, hatte Cremer gesagt. „Cremer hat mit dieser ins Sexuelle hinein gehenden öffentlichen Hetze eine neue Qualität in der antisemitischen Propaganda eingeleitet“, sagt Martin Dietzsch, Rechtsextremismusexperte des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Cremer stelle sich bewusst in die Tradition des NS-Hetzblattes Stürmer. Wolfgang Dörsch, Sprecher der Bochumer Staatsanwaltschaft, bezeichnete Cremers Äußerungen als „unappetitlich“.

Claus Cremer ist Multifunktionär in der nordrhein-westfälischen NPD. Er ist stellvertretender Landesvorsitzender, seit der Kommunalwahl Mitglied der Wattenscheider Bezirksvertretung und besetzt hinter dem Spitzenkandidaten und NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt den dritten Platz der braunen Liste für die Landtagswahl, bei der er trotz Anklage antreten kann. Für Leo Heitfeld, den Chef des Bochumer Staatsschutzes, ist Cremer der Verbindungsmann zwischen Partei und der offenen Neonazi-Szene. Dass Cremer sich durch eine Anklage von weiterer Stimmungsmache abschrecken lässt, glaubt Heitfeld nicht: „Cremer ist ideologisch gefestigt, ein verankerter und bedeutender Funktionär“, sagt er. Zudem würden Straftäter von der rechtsextremen Szene ohnehin nicht gemieden: Der erst im September aus der Haft entlassene Ex-Vizechef der mittlerweile verbotenen FAP, der als „SS-Siggi“ bekannte Dortmunder Siegfried Borchert, ist bereits wieder auf mehreren Nazi-Demos in Dortmund und Recklinghausen aufgetreten.

Dass Cremers politische Arbeit durch die Strafverfolger gestört werden wird, glaubt auch Hans Bienert von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Wattenscheid nicht: „Die Clique um Cremer steht fest, die haben sogar eine heimliche Freude an so etwas“, sagt er. Schließlich sei Cremer trotz seinen Ausfällen im Juni in die Wattenscheider Bezirksvertretung gewählt worden.

Rechtsextremismusforscher Dietzsch sieht Cremers radikale Propaganda durch eine immer euphorischere Stimmung in der rechtsextremen Szene begründet. „Die haben momentan das Gefühl, als stände im nächsten Jahr die Machtergreifung bevor“, sagt er. Bestärkt werde dies auch durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die Demonstrationen wie im Juni erlauben. „Es ist ein Skandal, dass die Polizei nicht sofort gegen Cremers Rede eingeschritten ist“, sagt Dietzsch. Auch dass sich die Staatsanwaltschaft erst sechs Monate nach Cremers Rede zu einer Anklage entschlossen hat, stimmt Dietzsch skeptisch. „Die Ermittler haben sich offensichtlich sehr viel Zeit gelassen“, sagt er.KLAUS JANSEN

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